Kamila Walijewa hatte mit dem russischen Team Olympia-Gold gewonnen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Peter Kneffel/dpa)

Die Doping-Affäre um Eiskunstlauf-Wunderkind Kamila Walijewa wird zum heiklen Fall für das olympische Eilgericht und bringt Russlands Sport erneut in Verruf.

Das Internationale Olympische Komitee will die Aufhebung einer vorläufigen Sperre der 15-Jährigen nicht hinnehmen und eine Hängepartie vermeiden. Es drängt auf rasche Klärung, um Schaden von den Peking-Spielen abzuwenden.

Im Auftrag des IOC legte die Internationale Testing-Agentur (Ita) genauso wie die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) Berufung in der Sache ein. «Wir wollen das so sehr beschleunigen wie möglich», sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Nun ist der Internationale Sportgerichtshof am Zug. Der Cas bestätigte den Eingang des Einspruchs, konnte aber noch keinen Termin für die Entscheidung nennen.

Das Russische Olympische Komitee (ROC) hält dieses Vorgehen nicht für rechtens. «Die Dopingkontrolle eines positiv getesteten Athleten gilt nicht für den Zeitraum der Olympischen Spiele», hieß es in einer ROC-Erklärung. Dopingtests von Walijewa bei der EM im Januar und bei den Peking-Spielen seien negativ ausgefallen. Man werde um «die ehrlich gewonnene olympische Goldmedaille» kämpfen. Wegen des Staatsdopings früherer Jahre steht Russland indes seit Jahren im Zwielicht.

Nach Tagen voller Aufregung und Mutmaßungen reagierte die Ita nicht nur mit einer detaillierten Darstellung der Causa. Sie sah sich auch gezwungen, die minderjährige Walijewa trotz ihres Status als «geschützte Person» öffentlich mit Namen zu nennen.

Positiv auf Herzmittel getestet

Nach Angaben der Ita war sie am 25. Dezember 2021 bei den nationalen Meisterschaften in St. Petersburg positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet worden. Der Befund lag der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada angeblich erst am 8. Februar vor, also nach dem Team-Wettbewerb. Als Gründe für die Verzögerung führte sie die aktuelle Corona-Situation und erkranktes Laborpersonal an. Die Rusada erklärte zudem, auch eine Untersuchung weiterer Personen aus dem Umfeld der Athletin initiiert zu haben, da diese minderjährig sei.

Als der Test bei der Rusda einging, war im olympischen Teamwettbewerb schon Gold an Walijewa und Co. vergeben. Erst dann hatte man sie vorläufig suspendiert. Einen Tag später hob der Disziplinarausschuss der Rusada nach Einspruch von Walijewa die Suspendierung wieder auf und machte zunächst den Weg für einen weiteren Olympia-Start frei. Um das Damen-Einzel nicht zu beeinträchtigen und eine denkbare spätere Aberkennung einer Medaille zu verhindern, will das IOC den Fall vor dem Start des Kurzprogramms am 15. Februar vom Cas geklärt haben.

Adams: «Für die Spiele nicht hilfreich»

«Diese Fälle sind für die Spiele nicht hilfreich», räumte Adams ein. «Juristische Fälle können sehr schwierig sein, aber es ist sehr wichtig, dass die Leute volle Gerechtigkeit bekommen.»

Ungeachtet dessen hat Europameisterin Kamila Walijewa auch am Freitag im Capital Indoor Stadium vor den Augen von Eteri Tutberidse ihre Sprünge geübt. Die strenge Moskauer Trainerin hat eine auf der Welt einmalige Gruppe von Vierfachspringerinnen aufgebaut, zu der auch Weltmeisterin Anna Scherbakowa und die WM-Dritte Alexandra Trusowa gehören. Falls der Dopingfall sanktioniert werden sollte, stellt sich bei einer 15-Jährigen die Frage nach einer Mitwirkung des Athletenumfeldes.

«Kamila hat ihre Vierfachsprünge mit unendlichem Fleiß und Mut erlernt. Da hilft kein Doping!», schrieb Eiskunstlauf-Ikone Katarina Witt bei Facebook. «Wenn überhaupt, gehören die verantwortlichen Erwachsenen für immer für den Sport gesperrt.» Was Walijewa vielleicht zugemutet worden sein könnte, sei «an Unmenschlichkeit nicht zu überbieten und lässt mein Sportlerherz weinen».

Das seit 2014 im Sport verbotene Trimetazidin wird zur Behandlung von Angina pectoris angewendet. Sven Authorsen, Olympiaarzt der deutschen Eiskunstläufer, hält eine leistungssteigernde Wirkung in seiner Sportart nicht für abwegig. «Wenn man damit etwas machen wollte, dann um einen Moment der Übersäuerung der Muskulatur zu überbrücken, wie sie in der zweiten Hälfte einer Kür eintreten kann», erklärte der Orthopäde. «Wenn die Blutgefäße geweitet sind, würde es helfen.» Für Experte Fritz Sörgel ist es «der spektakulärste Dopingfall in den vergangenen Jahren», wie der Nürnberger Pharmakologe den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte.

Kreml spricht Walijewa Mut zu

Der Kreml in Moskau sprach dem Eislauf-«Jahrhunderttalent» Mut und Unterstützung zu. «Kamila, versteck‘ nicht dein Gesicht, geh‘ überall von Stolz erfüllt», sagte Sprecher Dmitri Peskow russischen Agenturen zufolge. Womöglich gebe es bei den Doping-Vorwürfen ein «Missverständnis». Das müsse aufgeklärt werden.

Für ROC-Präsident Stanislaw Posdnjakow wirft das Vorgehen in Peking «ernste Fragen» auf. Zwischen der Entnahme der Probe bei Walijewa am 25. Dezember 2021 in St. Petersburg und dem 8. Februar, als sie im Ausland ausgewertet worden sei, liege mehr als ein Monat.

«Nach den internationalen Standards für die Wada-Labors gilt vom Moment der Entnahme eine Frist von 20 Tagen bis zur Auswertung», sagte Posdnjakow der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. «Es ist seltsam, dass die Probe von St. Petersburg nach Stockholm praktisch einen Monat brauchte.» Er hält es für möglich, dass jemand die Probe bis zum Ende des Teamwettbewerbs zurückgehalten habe.

Keinen Zweifel an der «Ehrlichkeit und der Reinheit» von Walijewa hat der russische Eiskunstlaufverband. Dennoch hat der Dopingfall in der Königssportart des Landes ein «Schock wie bei einem Stromschlag» ausgelöst, wie in den Morgensendungen des russischen Staatsfernsehens zu hören war.

Russische Athleten im Fokus

Russlands Sportler stehen nicht erst seit dem Walijewa-Fall in Peking besonders unter Beobachtung. Das Land ist wegen organisierter Manipulationen und der Vertuschung von Sportbetrug wie schon bei den Sommerspielen in Tokio gesperrt. Die russischen Athleten dürfen nur als Vertretung des ROC antreten. Bei Siegerehrungen darf die russische Hymne nicht gespielt und die Flagge nicht gehisst werden.

Möglicherweise droht dem Land aber noch mehr Ungemach. Aus einem vertraulichen Papier der Welt-Anti-Doping-Agentur von Oktober vergangenen Jahres, das der ARD vorliegt, soll hervorgehen, dass mehr als 500 Dopingverdachtsfälle russischer Athleten, die im Zusammenhang mit dem Staatsdoping-Skandal und seinen Folgen stehen, noch immer ungeklärt seien. Aus dem Wintersport stammten laut ARD insgesamt 50 Fälle. Unklar sei, ob russische Peking-Starter betroffen seien.

Von Andreas Schirmer und Christian Hollmann, dpa

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