Von völlig verzweifelt zurück in die Weltspitze in 100 Minuten: Mit seinem nicht mehr für möglich gehaltenen Bronze-Gewinn hat Karl Geiger den deutschen Skispringern die Leichtigkeit zurückgebracht und Mut für den olympischen Schlussakt beim Teamwettbewerb gemacht.
«Wie ich die Wende hinbekommen habe, von komplett orientierungslos zu fokussiert und akribisch arbeiten: Das ist die größte Leistung, die ich geschafft habe», sagte Geiger nach seinem dritten Platz auf der Großschanze bei den Winterspielen in China.
Nach Tagen des Haderns, Grübelns und immer geringer werdenden Selbstvertrauens lief es am Samstagabend auf der riesigen Schanzenanlage in Zhangjiakou endlich so, wie sich der Führende im Gesamtweltcup das gewünscht hatte und wie er es eigentlich auch gewohnt ist. Erstmals bei diesen Winterspielen verdrängte Jubel nach dem 100-minütigen Wettkampf den Ärger über das verpatzte Einzel auf der Normalschanze und das Ausscheiden im Mixed-Wettbewerb im ersten Durchgang nach Katharina Althaus‘ Disqualifikation.
Geiger gelang es, «einen Schalter im Kopf» umzulegen. Er sei wieder bei Null gestartet, «als würde ein neugeborenes Küken aus dem Ei schlüpfen und loslegen», sagte er.
Plötzlich wieder Edelmetallkandidaten
«Unser Team hat jetzt einfach mal ein positives Erlebnis gebraucht. Wir haben so Dresche gekriegt die ganzen Tage. Es war einfach wichtig – auch, dass wir im Teamwettkampf mit breiter Brust auftreten können», sagte Geiger. Am Montag (12 Uhr/ARD und Eurosport) werden die letzten Medaillen ausgesprungen. Nach Geigers Bronze und Markus Eisenbichlers fünftem Platz beim Olympiasieg des Norwegers Marius Lindvik zählen die Adler des Deutschen Skiverbands (DSV) plötzlich wieder zu den Edelmetallkandidaten.
«Das ist wie eine Erlösung für das gesamte Team. Wir haben echt schwere Tage hinter uns», sagte der völlig erleichterte Bundestrainer Stefan Horngacher. Der Österreicher hatte schon in den vergangenen Tagen einen leichten Aufwärtstrend bei seinen Springern erkannt. Horngacher weiß allerdings auch: «Im Endeffekt zählt bei der Olympiade die Medaille und die hat der Karl Gott sei Dank gewonnen.»
Teamwettkampf hat absolute Priorität
Auf dem Weg zurück zu alter Stärke halfen Geiger die Mannschaftskollegen, seine Frau Franziska und ganz besondere olympische Erfolgsgeschichten. «Wir haben auch die Langläufer verfolgt oder einen Vinzenz Geiger», verriet Eisenbichler, der seit Jahren mit Karl Geiger befreundet ist und in Nicht-Corona-Zeiten ein Zimmer mit ihm teilt. «Es wird einem dann immer mehr bewusst, dass nichts unmöglich ist», sagte er mit Blick auf die überraschende Silbermedaille der Frauen-Staffel im Langlauf und Gold des Nordischen Kombinierers Geiger nach einer außergewöhnlichen Energieleistung.
Wie Karl Geiger hatte auch Eisenbichler in den vergangenen Tagen stets betont, dass der Teamwettkampf bei ihm die absolute Priorität genießt. Der 30-Jährige hat mit Olympia noch eine Rechnung offen. Als das deutsche Team im Mannschaftswettbewerb in Pyeongchang 2018 Silber gewann, musste der Bayer als Ersatzmann zuschauen. Nun ist er gesetzt – und hat wie Kumpel Geiger sein Selbstbewusstsein zurück.