Kamila Walijewa bedeckte die Augen mit ihren roten Handschuhen. Die 15 Jahre alte Eiskunstlauf-Europameisterin aus Russland kämpfte nach ihrer verpatzten Kür gegen die Tränen an.
Als das Wunderkind vom Eis glitt, war klar, dass es nichts geworden war mit dem erhofften und ersehnten Olympiasieg. Walijewas Auftritt fehlte nach all dem Wirbel der vergangenen Tage der Zauber. Sie patzte bei ihren Sprüngen und zeigte Nerven. Ihre Trainerin Eteri Tutberidse empfing sie eher kühl und nahm sie nicht in den Arm.
Ihre Führung aus dem Kurzprogramm konnte Walijewa nach dem tagelangen Wirbel um ihr Dopingvergehen nicht verteidigen. Sie rutschte im Damen-Einzel noch auf Platz vier ab und blieb damit ohne Medaille. Gold ging mit 255,95 Punkten an die russische Weltmeisterin Anna Schtscherbakowa. Silber sicherte sich deren Teamkollegin Alexandra Trusowa, Bronze ging an die Japanerin Kaori Sakamoto.
Sturz zu den Klängen des «Bolero»
Walijewa dagegen stürzte zu den Klängen des «Bolero» von Maurice Ravel beim Vierfach-Salchow und auch der Vierfach-Toeloop gelang nicht ganz. «Sie war ein Schatten ihrer selbst, als sie hier rausgegangen ist. Sie konnte nicht gewinnen in diesem ganzen Spiel. Das, was jetzt passiert ist, ist das Allerschlimmste, sie ist daran zerbrochen», sagte die ehemalige Eiskunstläuferin und heutige ARD-Expertin Katarina Witt und musste sich Tränen aus den Augen wischen. «Man hat sie jetzt wirklich der Welt zum Fraß vorgeworfen. Irgendjemand Verantwortungsvolles hätte sie rausnehmen müssen, bevor überhaupt dieser Tsunami losging», sagte Witt und äußerte die Hoffnung, dass sie «das übersteht und dass sie wiederkommt».
Während Walijewa erst einmal in den Katakomben des Capital Indoor Stadiums verschwand, gab es für die Medaillengewinnerinnen eine kleine Siegerzeremonie auf dem Eis. Schtscherbakowa posierte stolz mit Maskottchen und ließ sich mit der Fahne des Russischen Olympischen Komitees um die Schultern fotografieren. Mit diesem Ergebnis ist auch klar, dass es auch noch eine offizielle Medaillenzeremonie für die ersten drei geben wird. Das IOC hatte beschlossen, dass es für den Fall eines weiteren Medaillengewinns von Walijewa in Peking vorerst keine Siegerehrung geben wird.
Das Internationale Olympische Komitee hatte angekündigt, dass das Ergebnis als vorläufig angesehen und mit einem Sternchen versehen wird. Hintergrund ist der positive Dopingtest Walijewas, die zuvor auch das russische Team zu Gold in Peking geführt hatte.
Schtscherbakowa zeigt fabelhafte Kür
Das Dopingvergehen aus dem Dezember war erst nach dem Team-Finale bekannt geworden. Die Medaillenübergabe für die Mannschaften wurde deshalb abgesagt. Der Internationale Sportgerichtshof Cas hatte der Europameisterin in einem Eilverfahren danach erlaubt, auch am Damen-Einzel teilzunehmen. In der Hauptsache ist in dem Fall noch nicht entschieden.
Schtscherbakowa zeigte eine fabelhafte Kür, in der die Balancen Technik und künstlerische Gestaltung zu einem wundervollen Ganzen wurde. Obwohl sie nur zwei Vierfache zeigte, verdiente sie sich Gold. Sprungwunder Trusowa zeigte zwar das schwierigste Technik-Programm der Damen bei Olympischen Spielen mit fünf vierfachen gestandenen Sprüngen – all dies aber auf Kosten der Eiskunst und Ausdrucksstärke.
Nicht optimal lief es für die deutsche Meisterin Nicole Schott. Die 25-Jährige aus Essen fiel von Rang 14 nach dem Kurzprogramm noch auf den 17. Platz zurück. 2018 in Pyeongchang war sie 18. Nachdem Schott die Kombination aus den je dreifachen Flip und Toeloop tadellos auf das Eis gesetzt hatte, stürzte sie beim zweiten Dreifach-Flip. Außerdem musste sie sich beim dreifachen Salchow mit der Hand abstützen. «Es hätte besser laufen können, aber ob man Vierzehnter oder Achtzehnter wird, juckt doch keinen», sagte sie.
Viel aufzuklären
Im Fall Walijewa gibt es nun auch ohne Olympia-Medaille im Einzel viel aufzuklären: angefangen bei der großen Verzögerung der Übermittlung des positiven Tests auf das Herzmittel Trimetazidin im Dezember 2021 an die Rusada über die Aufhebung der vorläufigen Suspendierung bis zur Frage: Warum hat die junge Spitzenathletin die verbotene Substanz genommen oder bekommen? Was ist mit der Erklärung, dass durch das Trinken aus einem Glas des herzkranken Opas das Trimetazidin unwissentlich in ihren Körper gekommen sein könnte?
Mario Thevis, der Chef des renommierten Kölner Dopingkontrolllabors, sprach sich für die Entnahme einer Haarprobe aus. «Mit der Analyse kann man möglicherweise sehr gut unterscheiden, ob es sich um eine mehrmalige Einnahme von Trimetazidin in größeren Mengen gehandelt hat oder um eine versehentliche, einmalige Gabe», sagte er der ARD. Ob der Fall bis zu den Weltmeisterschaften vom 21. bis 27. März in Montpellier abgeschlossen sein wird, ist wenig wahrscheinlich.