Norwegens Skisprung-Trainer Alexander Stöckl im Interview. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Daniel Karmann/dpa)

Norwegische Skispringer machen mitunter verrückte Sachen. Oben an der Sprungschanze stellten sie im Sommer ein Rad hin, ein bisschen wie beim Roulette. Sie drehten das Rad, es kam eine Weite heraus und dorthin sollten die Springer fliegen – punktgenau, ein Zielspringen. Wer am nächsten an die Weite herankam, hatte gewonnen.

Dann gab es ein «Marathon-Springen», wie es der langjährige Nationaltrainer Alexander Stöckl nennt. Es galt, innerhalb einer bestimmten Zeit die meisten Sprünge zu machen und die möglichst weit. Die Wettbewerbe klingen kurios. Sie könnten aber auch Teil der Skisprung-Zukunft sein.

Stöckl: «Wir brauchen ein Ganzjahresdenken»

Groß denken – so lautet Stöckls Motto, wenn er über die Entwicklung seines Sports spricht. Der 49-Jährige hat schon Springer zu Olympiasiegern und Gesamtweltcupgewinnern geformt. Und er ist der Meinung: Skispringen muss sich verändern und in vielen Bereichen offen für Neues sein. Für neue Formate zum Beispiel, die vor allem fernsehtauglich sein müssen. Aber nicht nur dafür.

«Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir versuchen, ein Ganzjahresdenken reinzubringen», sagt Stöckl. «Und ich glaube auch, dass es gut ist, wenn wir wegkommen von dem Begriff Wintersport. Ich glaube, dass wir eine Extremsportart sind und dass man sie egal wo und egal wie machen kann.»

Was der Österreicher damit meint, konnte man zu Beginn dieser Saison sehen. Wegen der Fußball-WM sollte der Weltcup früher starten, also landeten die Springer Anfang November in Polen auf Matten statt auf Schnee.

«Wir haben das Glück, dass wir die Mattenschanzen haben, dass das machbar ist und dass wir keinen Schnee brauchen», sagt Stöckl auch mit Blick auf den Klimawandel. Er glaubt: «Entweder wir nennen uns weiter Wintersport und sterben im Winter – weil den gibt es irgendwann nicht mehr. Oder wir nennen uns Extremsport und sind offener für neue Destinationen.»

Bereitschaft für Veränderungen ist auch bei den Skispringern durchaus vorhanden. «Grundsätzlich glaube ich schon, dass man sich immer weiterentwickeln muss – auch bei Formaten», sagt Deutschlands bester Springer Karl Geiger und ergänzt mit Blick auf die Idee, Skispringen als Extremsport zu begreifen: «Wir kennen den Weltcup-Kalender wie er jetzt ist, weil er sich viele Jahre entwickelt hat. Als völlig absurd würde ich die Idee nicht abtun.»

Geiger, Markus Eisenbichler und viele ihrer Kollegen hängen aber auch an ihren Traditionen. «Skispringen ist eine Wintersportart», sagt Geiger. Der Oberstdorfer meint aber auch: «Wenn es mehr Sinn macht, auf Matten zu springen, bin ich der Letzte, der sich dagegen wehren wird. Wir finden es am besten, wenn es Schnee gibt und wenn Winter ist, aber man kann es sich halt manchmal nicht aussuchen.»

Skispringen in Afrika, Australien oder Südamerika?

Neben der Flexibilität in Bezug auf den Klimawandel eröffnet die im Vergleich zu anderen Wintersportarten relativ große Unabhängigkeit der Skispringer vom Schnee noch eine weitere Option. Hat man sich einmal an das Bild von Skispringern, die auf Matten landen gewöhnt, wären Wettkämpfe an vielen Orten denkbar. Stöckl hat da eine Vision.

«Wie wäre das, wenn in zehn Jahren Kinder auf der ganzen Welt davon träumen würden, 250 Meter auf Ski zu fliegen – und nicht nur die, die in Europa oder vielleicht in Amerika Ski fahren?», fragt er. «Und das geht, weil wir überall Mattenschanzen hinstellen können.» Skispringen in Afrika, Australien oder Südamerika also? Und das in gänzlich neuen Formaten?

Damit das tatsächlich eintritt, müsste schon noch sehr viel passieren und es geht Stöckl auch nicht darum, eine konkrete Reform oder einen konkreten neuen Wettkampf zu einem bestimmten Zeitpunkt durchzusetzen. Er vertritt vielmehr den Ansatz: «Es ist wichtig, dass wir größer denken, um vielleicht einen kleinen Schritt zu machen.»

Thomas Eßer, dpa

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