Stolz, Dankbarkeit, Ungläubigkeit – bei Mikaela Shiffrin war von allem etwas dabei. Dem eleganten Tanz durch die Slalomstangen von Are zum 87. Weltcup-Sieg folgte eine Achterbahnfahrt der Emotionen.
Seit Samstag ist die US-Amerikanerin die erfolgreichste Skirennfahrerin der Historie. Mit ihrem Triumph in Schweden stieg Shiffrin zur alleinigen Rekordhalterin auf und ließ den früheren Technik-Spezialisten Ingemar Stenmark, mit dem sie sich die Spitze der ewigen Bestenliste zuvor geteilt hatte, hinter sich -auf den Tag genau zwölf Jahre nach ihrem Weltcup-Debüt. An einem Ort, der einen «unglaublichen Mix an Gefühlen» in ihr hervorruft, wie die Ausnahmeathletin aus Colorado berichtete.
Sie könne es kaum fassen, dass sie nun einen Sieg mehr als der Schwede Stenmark hat, sagte Shiffrin. Sie wolle allen danken, die sie in ihrer Karriere bisher unterstützt haben. Es sei nicht immer einfach gewesen. Dabei sah es so einfach aus, wie sie sich einen Tag nach ihrem Sieg im Riesenslalom auch im Slalom wie aus einem Guss zwischen den Stangen durchschlängelte und letztlich fast eine Sekunde zwischen sich und die zweitplatzierte Schweizerin Wendy Holdener legte. Dritte wurde Lokalmatadorin Anna Swenn Larsson.
«Hut ab»
Im Ziel schlug Shiffrin, die diesen Montag 28 Jahre alt wird, erst ungläubig die Hände vor das Gesicht und ging dann für mehrere Sekunden in die Hocke. So beeindruckend sich die Zahlen ihrer Karriere lesen, so groß ist eben auch der Druck, der Shiffrin auf den Pisten stets begleitet. 53 Weltcup-Siege im Slalom hat sie nun eingefahren, dazu 20 im Riesenslalom, drei in der Abfahrt, einen in der Kombination und jeweils fünf in Super-G und Parallelrennen.
«Hut ab. Über die Jahre in so vielen Disziplinen so eine Konstanz zu haben, ist irre», sagte die deutsche Hoffnungsträgerin Lena Dürr. Die 31-Jährige, die bei den Weltmeisterschaften in Frankreich im Februar Bronze geholt hatte, verbesserte sich nach einem fehlerhaften ersten Lauf noch um zwei Ränge und wurde Sechste. Sie freue sich auf das am Mittwoch beginnende Saisonfinale in Andorra, sagte Dürr. Für das sind auch ihre Teamkolleginnen Emma Aicher und Jessica Hilzinger qualifiziert, die diesmal die Plätze 11 und 20 belegten.
Als große Favoritin reist natürlich Shiffrin nach Soldeu. Dass sie ihre Rekordjagd schon in Are krönte, passt aber zur filmreifen Karriere der Amerikanerin. Hier feierte sie im Dezember 2012 ihren ersten Weltcup-Sieg. Hier erlitt sie in der Saison 2015/2016 ihre erste schwerere Verletzung. Hier holte sie 2019 WM-Gold und somit als erste Skifahrerin vier WM-Titel in einer Disziplin in Serie. Hier wollte sie nach dem Unfalltod ihres Vaters Jeff 2020 ihr Comeback geben, ehe die Saison wegen der Coronavirus-Pandemie abgebrochen wurde.
Rückschläge auf dem Weg nach oben
Shiffrin musste durchaus auch Rückschläge verkraften auf ihrem steilen Weg nach oben. Es ist bemerkenswert, in welcher Topform sie sich rund ein Jahr nach dem medaillenlosen Olympia-Drama von China präsentiert. 13 Siege hat sie diese Saison nun schon gefeiert, sechs davon in ihrer Paradedisziplin Slalom. Ihren insgesamt fünften Gesamtweltcup-Sieg hat sie längst sicher, auch die kleinen Kristallkugeln für die beste Slalom- und Riesenslalom-Fahrerin des Winters sind ihr nicht mehr zu nehmen. Bei der WM im Februar holte sie drei weitere Medaillen – und trennte sich zwischendurch von ihrem Langzeit-Trainer Mike Day.
Ex-Skistar Stenmark hatte zuletzt mehrfach betont, wie sehr er Shiffrin den Rekord gönne. Die siebenmalige Weltmeisterin berichtete, dass sie häufiger Kontakt mit dem inzwischen 66-Jährigen gehabt und er ihr mehrere Videobotschaften geschickt habe. Nicht wenige Experten trauen Shiffrin zu, langfristig auch die Marke von 100 Weltcup-Siegen zu knacken. «Leg die Messlatte immer höher, jetzt höher als alle anderen zuvor», schrieb ihre frühere Teamkollegin Lindsey Vonn, die selbst 82 Weltcup-Siege geschafft hat, in den sozialen Medien. Shiffrin wird sie wohl nicht enttäuschen.