Lebt das Skispringen in seinem Hotel: Jens Weißflog, Skisprungweltmeister, Olympiasieger und Hotelier. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/ZB)

Wenn Jens Weißflog in diesen Tagen seine Nachfolger bei der Vierschanzentournee im Fernsehen beobachtet, dann tut er das mit voller Hingabe. «Ich verfolge das schon richtig», sagt der 56-Jährige mit Nachdruck.

Der frühere Ausnahme-Skispringer, dessen vierter Tournee-Sieg sich am 6. Januar zum 25. Mal jährt, kann sich in diesen Tagen in die Flugkünstler hineinversetzen, die an der Schanze ihrem Beruf nachgehen. Weißflog kennt aber auch eine andere Seite in Corona-Zeiten: Als Hotelier kann er seinem Job derzeit nicht wie gewohnt nachgehen. Sein Hotel und sein Restaurant in Oberwiesenthal haben seit dem 2. November geschlossen.

Langweilig wird es Weißflog deshalb nicht. «Wenn wir zu haben heißt das nicht, dass man nichts macht», sagt der Sachse der Deutschen Presse-Agentur. Der 56-Jährige regelt Dinge im Büro, klärt Personalangelegenheiten, doch die Gäste fehlen. «Dezember, Januar und Februar, auch der März: Das ist die Zeit für uns», sagt der dreimalige Olympiasieger. Das Wort «die» betont er dabei besonders. «Das ist, wie wenn an der Ostsee an den Seebädern der komplette Sommer wegfallen würde.»

Anders als viele ehemalige Skispringer hat sich Weißflog gegen einen Weg als Trainer entschieden und auch seine Tätigkeit als TV-Experte schon lange beendet. «Er lebt das Skispringen in seinem Hotel», sagte sein früherer Teamkollege Dieter Thoma einmal. Den Winterspielen von Lillehammer 1994, bei denen Weißflog zweimal Gold gewann, hat er ein eigenes Appartement gewidmet – mit eingesticktem Fackelträger im Kissen und Informationen zur Olympia-Schanze.

Dass in diesem Appartement wie auch in den anderen Hotelzimmern derzeit niemand schlafen kann, trifft Weißflog finanziell hart. «Wir werden das überleben», sagt er zwar kämpferisch, doch ohne einen Kredit geht es auch bei ihm nicht. Als «unwirklich» beschreibt Weißflog die aktuelle Situation in der sonstigen Wintersport-Hochburg im Erzgebirge. In einer Zeit, «in der man normalerweise eine halbe Stunde am Lift steht», sei es nun menschenleer.

Jammern will er deshalb nicht. Und die beliebte Diskussion, warum die einen ihren Beruf quasi normal ausüben dürfen, während die anderen eingeschränkt werden, will er mit Bezug auf Skispringer und sich selbst und sein Hotel auch nicht führen.

Stattdessen beschreibt Weißflog, der zu seiner aktiven Zeit wegen seiner Körpergröße «Floh vom Fichtelberg» genannt wurde, seine Wahrnehmung der Sportler im Fernsehen: «Die Springer gehen oben bis an den Balken ran mit einer Maske. Sie gehen unten aus dem Gate raus und kriegen eine Maske gereicht. Da sieht man, dass man dort willens ist, vieles so zu machen, wie es zurzeit sein muss.»

Zwischen Weißflogs erstem Tournee-Sieg und dem letzten Triumph 1996 lagen elf Jahre. Dass ein Skispringer wie er oder auch der Finne Janne Ahonen, der mit fünf Titeln beim Schanzen-Spektakel rund um den Jahreswechsel den Rekord hält, nochmal so häufig triumphiert, bezweifelt Weißflog. «Es wird schwer, dass nochmal jemand viermal die Tournee gewinnt», sagt er. «Es gibt keinen alleinigen Dominator mehr.» Der Sport entwickelt sich rasant weiter.

Die deutschen Skispringer warten mittlerweile seit 19 Jahren und dem glorreichen Auftritt von Sven Hannawald auf einen Tourneesieg. «Da liegt irgendwie momentan ein Fluch drauf», meint Weißflog und sagt mit einem Lachen: «Wir wären eigentlich dran.» Weißflog wird am Fernseher mitfiebern. Ohne Groll und mit ganz viel Leidenschaft.

Von Thomas Eßer und Patrick Reichardt, dpa

Von