Selina Jörg schossen die Tränen in die Augen, völlig überwältigt und glücklich genoss sie jede Sekunde auf dem Siegerpodest mit der Goldmedaille um den Hals. Die Snowboarderin aus dem Allgäu ist erneut Weltmeisterin im Parallel-Riesenslalom.
In einem spannenden Wettkampf war die Titelverteidigerin in Rogla in Slowenien nicht zu schlagen. Im Generationenduell des großen Finales bezwang die 33-Jährige ihre erst 17 Jahre alte Rivalin Sofia Nadirschina aus dem russischen Team um 0,12 Sekunden.
Eigentlich lag die erfahrene Sportlerin aus Sonthofen schon deutlich hinter der als Wunderkind gefeierten Russin zurück – doch im Finish kämpfte sie sich noch vorbei. Ihre Coolness legte die Sportsoldatin dann erst bei der Siegerehrung ab, als sie bei der deutschen Hymne all ihre Gefühle raus ließ und immer wieder die Augen schloss.
«Das ist der Wahnsinn! Das ist verrückt! Diese Hymne zu hören…», sagte Jörg der Deutschen Presse-Agentur nach ihrem Coup. Schon vor zwei Jahren bei der WM in den USA hatte sie sich zur Weltmeisterin gekrönt. «Aber jetzt beim zweiten Mal konnte ich das noch mehr genießen», berichtete sie über die Momente auf dem Treppchen.
Nach vielen Jahren in der Weltspitze, in denen es so lange nicht geklappt hat mit einer Medaille, war Olympia-Silber 2018 in Pyeongchang eigentlich schon ein Happy End für Jörg. Aber irgendwie schien sie Gefallen gefunden zu haben an wirklich wichtigen Siegen: Ein Jahr danach folgte WM-Gold in den USA und nun der nächste Titel.
Kurios: Im Weltcup reichte es bislang nur zu drei Erfolgen. Langsam wird es eng im Trophäenschrank, den ihr Freund Martin in der Wohnung im Allgäu vor ein paar Jahren gebaut hat. «Ich weiß nicht, ob er sich schon eine neue Holzplatte ausgesucht hat», sagte Jörg und lachte.
Nach der drittbesten Zeit in der Qualifikation war die routinierte Athletin in den K.o.-Runden nicht mehr zu bezwingen. «Ich war so brutal fokussiert und im Tunnel, genauso wie in Pyeongchang», sagte sie.
«Die Leistung von Selina Jörg ist der Wahnsinn», lobte der deutsche Sportdirektor Andreas Scheid. «Zwei bis drei Medaillen» hatte er als Ziel ausgegeben für die Titelkämpfe in Slowenien. Und möglich gewesen wäre die Ausbeute schon im ersten Frauen-Event. Dann aber schied Topfavoritin und Quali-Siegerin Ramona Hofmeister (Bischofswiesen) im Viertelfinale knapp gegen die Österreicherin Julia Dujmovits – die später Bronze holte. Auch Cheyenne Loch (Schliersee) als Zweite der Qualifikation kam gegen Claudia Riegler (Österreich) nicht weiter.
Die größte Rivalin der deutschen Boarderinnen hatte sich schon am Morgen selbst aus dem Rennen genommen: Olympiasiegerin Ester Ledecka verzichtete auf einen Start, weil sie angeschlagen war. Sie könne sich noch nicht mal aufwärmen, teilte die 25-Jährige mit. «Das hat darüber entschieden, dass ich beim Start nichts zu suchen habe», erläuterte die zweimalige Weltmeisterin über die sozialen Netzwerke. Sie werde nun daran arbeiten, dass sie am Weltcup-Finale der alpinen Ski-Asse in Lenzerheide in zwei Wochen teilnehmen kann, sagte sie.
Ledecka ist trotz ihrer Doppelbelastung auf Skiern und auf dem Snowboard eine der besten Sportlerinnen der Welt. Bei ihrem bislang einzigen Start im Snowboard-Weltcup in diesem Winter gewann sie prompt – vor Jörg. Auch bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang hatte sie sich vor Jörg und Hofmeister durchgesetzt.
Anders als die deutschen Frauen erlebten die Männer indes am ersten von zwei Renntagen in Rogla eine herbe Enttäuschung. Stefan Baumeister (Aising-Pang), der 2019 noch zweimal WM-Bronze geholt hatte, schied in der Quali ebenso aus wie Elias Huber (Schellenberg), Ole Mikkel Prantl (Königssee) und Yannik Angenend (Lengdorf). Die Goldmedaille sicherte sich Dimitri Loginow aus dem russischen Team.
In Rogla steht noch der Parallel-Slalom an. Dann wollen vor allem Hofmeister und Loch Revanche. «Cheyenne und Ramona haben Hunger», sagte Bundestrainer Paul Marks. «Sie sind mit dem Ergebnis heute nicht zufrieden. Da hoffen wir auf morgen.»