Sven Hannawald ist auch 20 Jahre nach seinem größten Skisprung-Triumph noch immer bekannt. Als er für Filmaufnahmen in Garmisch-Partenkirchen an die Schanze kommt, erfüllt er immer wieder Foto- und Autogrammwünsche.
Der ehemalige Skispringer ist der Szene noch immer eng verbunden. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt er, was der damalige Triumph mit ihm gemacht hat und wie er heute über den Vierfachsieg denkt.
Sie fahren 20 Jahre nach dem Triumph nochmal zu den Schanzen, an denen Sie damals Ihre größten Erfolge gefeiert haben. Wie fühlt es sich an?
Sven Hannawald: Irgendwie entspannter (lacht). Man kann es viel, viel mehr genießen. Damals war es Station für Station natürlich harte Arbeit. Aber jetzt einfach mal wieder zurückzukommen, gerade zum Jubiläum, ist immer ein schöner Moment.
Was war das Schönste an der Zeit damals?
Hannawald: Einfach, dass ich gemerkt habe, dass mein Paket gestimmt hat. Schon alleine, wenn man an die Schanze kam, hat man von weitem die vielen Zuschauer gehört. Es war jedes Haus komplett voll, wir hatten immer gutes Wetter. Da haben so viele Dinge eine Rolle gespielt, die so viel positiven Einfluss genommen haben. Ich war einerseits total stolz, Teil des Ganzen gewesen zu sein. Es hat aber innerlich natürlich auch mehr Arbeit bedeutet.
Der Hype war riesig, die Fans warteten damals stundenlang in der Kälte auf Sie und Kollegen wie Martin Schmitt. Was ist besonders in Erinnerung geblieben?
Hannawald: Man hat das schon immer gehört und konnte sich das selbst nicht vorstellen. Damals waren die Springen um 14 Uhr und die meisten standen morgens um sechs Uhr schon da. Wir reden von Winter, bis 14 Uhr nachmittags ist das schon sehr kalt. Das waren die Gleichen, die bibbernd da standen und sich einfach gefreut haben. Und stolz waren, dass sie Teil des Ganzen sein durften. Wir mussten aber schon auch unsere Arbeit erledigen. Wir haben trotzdem versucht, vor allem denjenigen ein bisschen was zurückzugeben.
Was haben Sie von damals mitgenommen?
Hannawald: Schlaflose Nächte, aber auf der anderen Seite den kompletten Gegensatz: an jeder Station volle Stadien, die Stimmung. Das war so etwas Positives, dass man gefühlt wie im Fußballstadion sitzt und die eigene Mannschaft dann als Sieger vom Platz geht. Dieses Gefühl habe ich auch immer mit nach Hause genommen.
Der Sport hat Sie später auch in eine schwere persönliche Krise geführt. Welche Rolle hat das Skispringen dabei gespielt?
Hannawald: Selbst wenn ich jetzt kein Sportler gewesen wäre, hätte ich mich auch in irgendeinem Berufszweig so reinsteigern können, dass ich in einem Burnout geendet hätte. Am Ende des Tages musste ich lernen, dass ich ein ehrgeiziger Mensch bin und Perfektionismus in mir trage. Das ist eine schwierige Kombination, wenn man davon nichts weiß. Ich bin damals davon ausgegangen, dass jeder Mensch so ist. Dementsprechend habe ich für den Jugendtraum des kleinen Sven alles gegeben, über viele Jahre, teilweise Jahrzehnte. Das hat am Ende gekostet. Aber mir ist wichtiger, dass ich den Traum erfüllen konnte – und zwar, die Tournee zu gewinnen. Alles andere war dann im Nachhinein auch wieder handlebar.
Welche Lehren haben Sie aus dieser Zeit gezogen?
Hannawald: Ich habe am Anfang schon das Einsehen gehabt, dass ich mich da komplett selbst reingesteigert habe in eine Welt. Ich habe dann teilweise gedacht: ‚Komm, schone dich selbst, geh mal mit 80 Prozent da rein.‘ Aber das kann ich nicht. Heute stehe ich genauso da: Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig oder gar nicht. Was ich aber gelernt habe, ist, dass ich mir und dem Körper nach der Arbeit die Pause gebe und mir den Ausgleich gönne.
Hat sich der Druck auf Leistungssportler und Skispringer geändert? Ist es besser und weniger geworden – oder noch heftiger?
Hannawald: Ich glaube, für die Zeit hatten wir genauso Stress wie heute. Heute sehe ich aber schon auch so Themen wie Social Media. Wenn ich heute noch aktiv wäre, dann würde ich sowas nicht machen, weil es dich in Momenten beschäftigt, in denen du eigentlich zurückkommst zu dir. Das würde mich, glaube ich, stören. Ich weiß nicht, wie die heutigen Sportler da reinwachsen. Der Unterschied zu damals ist, dass es das früher nicht gab.
Was können Sie den Springern der heutigen Zeit raten und mit auf den Weg geben?
Hannawald: Ich glaube, sich am Ende des Tages nicht verbiegen zu lassen. Wenn jemand merkt, dass es zu viel ist, dann muss man einfach sagen, dass es zu viel ist, und nicht versuchen, irgendwie mitzuschwimmen und zu hoffen, es wird schon wieder weggehen. So habe ich es gemacht. Ich dachte, ich muss halt einfach weitermachen und an der Weltspitze bleiben. So würde ich es heute auf keinen Fall mehr machen.
Sie sind heute als TV-Experte und Unternehmensberater gefragt, begleiten viele Projekte. Macht Ihnen das Spaß, sind Sie zufrieden?
Hannawald: Erst einmal ist einfach meine Familie das, was ich damals nicht hatte. Ich konnte damals nicht die Welt der Gefühle verbinden. Jetzt freue ich mich, dass ich meine Familie habe. Darauf baue ich dann zum einen die Tätigkeit als ARD-Experte auf im Winter, da freue ich mich unheimlich drauf. Auf der anderen Seite – ohne Skispringen – habe ich im Sommer meine Tätigkeiten, was die Gesundheit angeht. So ist mein Jahr nicht eintönig und gleich, sondern ich habe es gestaffelt auf zwei Hälften. Und das macht unheimlich Spaß.
Also gibt es 20 Jahre nach dem Vierfachsieg einen zufriedenen Sven Hannawald?
Hannawald: Es gibt auf jeden Fall kein Comeback (lacht). Ich freue mich auch, jetzt wieder an der Schanze sein zu dürfen. 20. und 30. Plätze hätten mich damals nicht befriedigt, obwohl ich sehr gerne noch weiter gesprungen wäre. Da musste ich das Einsehen haben, aufzuhören. Dann hatte ich schon eine Zeit, wo ich ran ans Skispringen wollte und gemerkt habe, es tut mir nicht gut. Jetzt freue ich mich auf die neue Saison. Ich bin gespannt, wie die Tournee ausgeht, wie die Skiflug-WM ausgeht, Olympia sowieso. Ich sehe mich aber da auch nicht mehr drin, weil ich einfach zu weit weg bin.
Es steht nicht nur der 20. Jahrestag Ihres Vierfachsieges an, sondern auch der 20. Jahrestag des bislang letzten deutschen Gesamtsieges bei der Vierschanzentournee. Erhöht sich dieser Druck auf das deutsche Team Jahr für Jahr?
Hannawald: Ich weiß nicht, wie die Jungs das sehen. Letzten Endes: Jeder, der von denen morgens aufsteht, will natürlich die Tournee gewinnen. Das ist von den meisten Springern die Herangehensweise. Viele wollten Skispringer werden, weil sie die Tournee gesehen haben. Ich hoffe natürlich: Jubiläen fühlen sich immer gut an, vielleicht klappt es ja auch in diesem Jahr. Es war schon das eine oder andere Jahr dabei, bei dem ich das Gefühl hatte, es könnte was werden. Lange hatten wir nur ein Rennpferd, jetzt waren es mit Karl Geiger und Markus Eisenbichler zwei. Auch das hat nicht gereicht. Ich denke mal, dass der da oben jetzt schön langsam ein Einsehen hat, dass es langsam mal wieder Zeit wird, dass ein Deutscher ganz oben steht.
Was sagt der Experte Sven Hannawald, wann es den nächsten deutschen Gesamtsieger bei der Tournee gibt?
Hannawald: Ich hoffe, im Jubiläumsjahr. Das schreibt sich immer schön, das ist für Medien toll, da kann man immer eine schöne Geschichte kreieren. Für denjenigen, der es erreicht, ist es natürlich auch immer wieder schön. Auch andere Nationen wollen natürlich die Tournee gewinnen, aber ich habe die Hoffnung, dass da oben das Einsehen ist, dass wir jetzt mal wieder dran sind.
Sie sind bei der kommenden Tournee als Experte in Bischofshofen dabei. Wie sieht Ihr 20. Jahrestag – der 6. Januar 2022 – aus?
Hannawald: Das weiß ich gar nicht, ob ich das jetzt schon wissen möchte. Ich denke mal, dass vorwiegend das Programm ganz oben steht und dann gucken wir mal. Ich werde ihn auf jeden Fall genießen und wahrscheinlich auch sehr tief in Erinnerung schwelgen.
Zur Person: Sven Hannawald (47) schaffte es im Januar 2002 als erster Skispringer der Geschichte, alle vier Springen bei einer Vierschanzentournee zu gewinnen. Danach machten ihm mentale Probleme zu schaffen. Heute ist Hannawald als Co-Kommentator und Experte bei der ARD tätig.