Sucht die Form vergangener Tage: Skisprung-Olympiasieger Andreas Wellinger. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Daniel Karmann/dpa)

Die Fernsehpräsenz von Andreas Wellinger ist ungebrochen.

Zuletzt war in verschiedenen ARD-Filmen für ein Millionenpublikum zu sehen, wie der Olympiasieger in herrlicher  Bergkulisse Plastikbecher hüpfen ließ, akrobatisch Limbo tanzte, ein Kleinflugzeug steuerte oder Zuckerwürfel auf einem Löffel stapelte, den er falsch herum im Mund hielt. Vom Skispringer Wellinger hingegen war 2021 noch gar nichts zu sehen. Sein bisher letzter Weltcup-Sprung war an Silvester in Garmisch ein Hüpfer auf 118 Meter, mit dem er als 53. die Qualifikation für das Neujahrsspringen verpasste.

Einen Monat später ist der 25 Jahre alte Bayer am sportlichen  Tiefpunkt angekommen. Eigentlich sollte der erste Winter nach überstandenem Kreuzbandriss zu einer Comeback-Story werden, am besten gekrönt von einer Teilnahme bei der Heim-WM in Oberstdorf, bei der Wellinger gerne wieder um Medaillen und den Ruhm früherer Tage kämpfen wollte. Doch drei Wochen vor dem großen Highlight ist der Olympiasieger von 2018 so weit von der Weltspitze weg wie nie zuvor.

Mitte Dezember hatte Bundestrainer Stefan Horngacher noch gesagt, bei Wellinger sei «die Talsohle durchschritten», doch da täuschte sich der Chefcoach aus Tirol gewaltig. Gehörte Wellinger im ersten Drittel des Winters wenigstens noch zum A-Kader, fiel er mit weiter schwachen Leistungen bei der Vierschanzentournee aus dem Aufgebot und hielt diese Entscheidung auch selbst für gerechtfertigt. 

Weitere Weltcups könnten nur die besten sechs Deutschen bestreiten «und da gehöre ich momentan nicht dazu», ordnete Wellinger ein. Bei der Tournee, als der Deutsche Skiverband (DSV) A-Kader und nationale Gruppe wegen Corona strikt trennen musste, saß Wellinger am Jugendtisch mit 20 Jahre alten Talenten statt bei den Top-Fliegern um  Weltmeister Markus Eisenbichler.

Fortan fiel der lebensfrohe Bayer in den sozialen Netzwerken vor allem damit auf, seinen Kollegen im eigenen Wohnzimmer die Daumen zu drücken. Wellinger selbst sollte sich im Continental Cup und Fis Cup in Form bringen und sich für eine Rückkehr in den Weltcup empfehlen. Doch daraus wurde nichts. Wegen der Corona-Pandemie fielen viele  Wettbewerbe aus, und wenn doch mal ein Springen stattfand, war Wellinger selbst in der zweiten und dritten Liga des Skispringens nicht konkurrenzfähig.

Im polnischen Szczyrk belegte er im drittklassigen Fis Cup Rang 45 hinter acht anderen Deutschen, darunter die unbekannten Talente Luca Roth und Justin Lisso. Für ein Gespräch steht Wellinger in dieser extrem schwierigen Phase nicht zur Verfügung, er möchte sich auf seine sportliche Entwicklung konzentrieren. Dass er die Heim-WM in Oberstdorf und eine schnelle Rückkehr ins A-Team um Eisenbichler und den Tournee-Zweiten Karl Geiger abhaken kann, dürfte ihm klar sein.

Horngacher hatte schon vor der Saison geahnt, dass das erste Jahr nach der komplizierten Kreuzbandverletzung kein leichtes werden würde. «Wir müssen ihm die Zeit geben. Ich würde von ihm nicht zu viel erwarten», prognostizierte der Chefcoach. Wellinger hat bewusst einen ganzen Winter ausgesetzt, um mit dem maladen Knie nichts zu riskieren. «Es ist nicht selbstverständlich, dass ich ganz oben mitspringen kann. Es ist aber natürlich mein Ziel», sagte er. Der aktuelle Winter zeigt ihm, wie hart der Profisport sein kann.

Von Patrick Reichardt, dpa

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