Platz vier in der Gesamtwertung: Markus Eisenbichlerist derzeit bester Deutscher. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Daniel Karmann/dpa)

Das emotionale Neujahrsspringen wirkte bei Markus Eisenbichler auch am folgenden Reisetag sichtlich nach.

«Ich habe noch ein bisschen Augenringe», beschrieb sich Eisenbichler treffend selbst. «Viel geschlafen habe ich nicht.» Bei seinem furiosen zweiten Platz zum Start ins Jahr 2022 bot der 30-Jährige eine eindrucksvolle Flugshow. Eisenbichler konnte aber nicht verdecken, dass der zweite Akt der Vierschanzentournee für das deutsche Skisprung-Team auch eine große Enttäuschung bereithielt. Trotz bester Voraussetzungen ist der ersehnte erste Tournee-Titel seit 20 Jahren so weit weg wie lange nicht.

Der größte Hoffnungsträger Karl Geiger fiel mit seinem siebten Platz weit zurück und kann die Gesamtwertung nach eigener Einschätzung abhaken. «Für mich ist es, wenn alles normal läuft, nicht mehr schaffbar», sagte der völlig frustrierte Oberstdorfer. «Dass es bei der Tournee wieder passiert, ist echt zum Kotzen.»

Geiger schon weit zurück

Geiger war als Gesamtweltcupführender und in der Form seines bisherigen Sportlerlebens zum Schanzen-Spektakel gereist. Sein Rückstand auf den überragenden Tournee-Spitzenreiter Ryoyu Kobayashi, der am Samstag mit umgerechnet nur elf Zentimetern vor Eisenbichler siegte, beträgt vor dem dritten Wettbewerb in Innsbruck am Dienstag (13.30 Uhr) schon fast 18 Meter.

Eisenbichler hat Geiger in Garmisch-Partenkirchen als besten DSV-Adler in der Tourneewertung abgelöst. Als Vierter mit knapp zwölf Metern Abstand zu Kobayashi ist er aber auch nicht wirklich nah dran. Größer war der Halbzeit-Rückstand des besten Deutschen auf den Spitzenreiter in der Tournee-Gesamtwertung zuletzt in der Saison 2014/15.

Aufgeben gilt nicht

Schon vor dem Wettkampf am berüchtigten Bergisel in Innsbruck am Dienstag, wo in der Vergangenheit häufig die Tournee-Träume deutscher Springer endeten, scheint nur noch eine Art Skisprung-Wunder helfen zu können – auch wenn Bundestrainer Stefan Horngacher Zweckoptimismus verbreitet.

«Wir werden nicht die Flinte ins Korn werfen und sagen, es ist alles scheiße. Es ist prinzipiell immer noch gut», sagte der 52 Jahre alte Österreicher, bevor er mit dem Team in sein Heimatland aufbrach. «Wir sind in der Halbzeit. Wir liegen sehr gut, und wir werden alles geben, dass wir in Bischofshofen vielleicht doch noch ganz oben stehen.» Horngachers Hoffnung: «Die Vierschanzentournee hat eigene Gesetze.  Man muss immer dranbleiben und draufbleiben, wenn ein anderer mal einen Fehler macht.» Es seien schon «viele skurrile Dinge passiert».

Horngacher adelt Kobayashi

Dass ausgerechnet Kobayashi patzt, scheint jedoch sehr unwahrscheinlich. Der Tournee-Gesamtsieger von 2018/19 springt außergewöhnlich stabil, ließ sich auch von einem positiven Corona-Test in diesem Winter nicht aus dem Konzept bringen und eroberte am Neujahrstag das Gelbe Trikot des Weltcup-Spitzenreiters von Geiger – obwohl er zwei Einzelwettkämpfe verpasst hatte.

Der 25-Jährige springe «extrem gut und bügelt alles nieder», beschrieb Horngacher. Geiger und Eisenbichler gehören aus seiner Sicht zu den wenigen Springern, die den in den Tagen der Tournee wortkargen Japaner schlagen können.

Eisenbichler schaut nicht auf Gesamtwertung

Wie man Kobayashi am Bergisel besiegt, hat Eisenbichler bei der Weltmeisterschaft vor knapp drei Jahren gezeigt. Der Siegsdorfer gewann vor Geiger. Kobayashi wurde Vierter. Nach Geigers Rückschlag hat «Eisei» die Hauptrolle im deutschen Team übernommen. Auf Kampfansagen verzichtet er allerdings.

Eisenbichlers verbaler Umgang mit dem Ziel goldener Adler für den Tournee-Gesamtsieg hat sich in den vergangenen Wochen auffällig verändert. Hatte Eisenbichler vor der Tournee-Generalprobe im schweizerischen Engelberg noch offensiv über den erhofften Triumph für einen deutschen Springer gesprochen, zeigt er nun demonstratives Desinteresse an der Gesamtwertung. «Ich habe jetzt auch das erste Mal erfahren, dass ich Vierter bin. Danke dafür», sagte er auf einer Pressekonferenz des Deutschen Skiverbands (DSV) am Sonntag. Das Klassement sei ihm «extrem wurscht».

Kumpel Geiger drückt ihm jedenfalls die Daumen. «Ich hoffe, dass er ihn noch ärgert und wir uns das Ding doch noch holen können», sagte der Familienvater mit Bezug auf Eisenbichler als Kobayashi-Verfolger. Die nächsten Hinweise, wie erfolgversprechend diese Mission sein könnte, gibt es an diesem Montag (13.30 Uhr/ZDF und Eurosport). Dann findet in Innsbruck die Qualifikation statt.

Von Thomas Eßer und Patrick Reichardt, dpa

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