Die Russin Kamila Walijewa beim Kurzprogramm. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Peter Kneffel/dpa)

Die Moskauer Eiskunstlauf-Medaillenschmiede von Eteri Tutberidse ist berühmt und berüchtigt. Der Dopingskandal um ihr russisches Wunderkind Kamila Walijewa hat die Kritik an der Trainerin, ihrem gnadenlosen Drill und rücksichtslosen Verschleiß von Talenten verstärkt.

Ist die positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestete 15-Jährige ein Opfer eines womöglich auch unmoralischen Ehrgeizes? Vieles weist daraufhin, dass im Tutberidse-Verein «Sambo-70» der Erfolg viele Mittel heiligt.

Der frühere deutsche Eiskunstlauf-Meister Daniel Weiss sieht Kamila Walijewa «hundertprozentig» als Opfer. «Ich kann mir nie vorstellen, dass Kamila aus Eigeninitiative verbotene Mittel genommen hat», sagte Weiss im Interview des «Donaukurier». Das Training bei Tutberidse gehe «über eine Grenze des Erlaubten» hinweg. «Da zählen der menschliche Faktor und Schmerzen wenig», sagte Weiss.

Eteri Tutberidse harte Erfolgstrainerin

Tutberidse formt seit Jahren mit großer Härte Eiskunstlauf-Kinder zu Olympiasiegern, Welt- und Europameistern. Auch Walijewa, die am Donnerstag als Führende und Goldfavoritin in die olympische Kür geht. Ungeachtet der Kritik ist die 47 Jahre alte Tutberidse mit dem «Verdienstorden für das Vaterland» und 2020 als «Trainerin des Jahres» vom Weltverband ISU ausgezeichnet worden.

Weltmeisterin Anna Schtscherbakowa findet nicht, dass ihre umstrittene Trainerin zu hart und unbarmherzig ist. «Ich bin in ihrer Gruppe, seit ich neun Jahre alt bin und habe nie den Trainer gewechselt», sagte die russische Zweitplatzierte des olympischen Kurzprogramms am Dienstag in Peking. «Das sagt mehr als viele Worte.»

Viele ihrer Athletinnen verschwinden aber noch vor Vollendung des 18. Lebensjahres wieder von der großen Bühne. So etwa Julia Lipnizkaja: Die damals 15-Jährige gewann 2014 bei den Winterspielen in Sotschi als jüngste Eiskunstläuferin Team-Gold. Drei Jahre später beendete sie ihre Karriere wegen Magersucht. Die heute 19-jährige Alina Sagitowa, die im Alter von 15 Jahren 2018 in Pyeongchang Einzel-Gold holte, tritt schon seit längerem nicht mehr bei Wettkämpfen an.

Sie berichtete jedoch im Interview dem russischen «Sport Express» über ihre Leidenszeit bei Tutberidse und die angeordnete strenge Diät. «Man musste einfach nur die Klappe halten und nichts essen! Oder zumindest ein wenig», sagte Sagitowa.

Strenge körperliche Anforderungen

Schmale, leichte Körper brauchen die Tutberidse-Mädchen, um die Vierfachsprünge mit einer Schwerelosigkeit, Eleganz und Vielfalt wie keine anderen auf der Welt auf das Eis zu zaubern. Dafür werden Walijewa und Co. als «Quad Squad» – «Vierfachsprung-Truppe» – mit Ehrfurcht tituliert. «Das Team Tutberidse hat die Eislauf-Welt der Mädchen revolutioniert. Drehe, drehen über alles!», sagte Reinhard Ketterer, Vizepräsident der Deutschen Eislauf-Union.

Vierfach-Sprünge in der Kür der Damen sind längst erlaubt. Im Sommer dürfte Russland beantragen, sie auch im Kurzprogramm zuzulassen. Damit würde die Kluft zwischen der Tutberidse-Truppe und dem Rest der Welt noch größer werden. Anträge und Initiativen zur Anhebung des Mindestalters im Eiskunstlauf verpuffen hingegen seit vielen Jahren. Befeuert durch die Doping-Affäre Walijewa ist die Debatte darüber neu entfacht worden.

Debatte um minderjährige Teilnehmer

Für das Internationale Olympische Komitees und die ISU sollte es für die Zukunft eine Konsequenz geben, meinte Katarina Witt. «Die 15-Jährigen gehören in die Youth Olympic Games!», schrieb die Olympiasiegerin von 1984 und 1988 auf Facebook. «Kein Wunder, dass die jungen Läuferinnen so viel Druck haben, Olympiasiegerin werden zu müssen, denn sie spüren den konkurrierenden Atem der nächsten 14-Jährigen schon im Nacken.» Sie plädiert deshalb für ein Mindestalter für Starts bei internationalen Wettkämpfen von 18 Jahren: «Wäre es nicht richtig, ein Kind reifen zu lassen?»

Die deutsche Meisterin Nicole Schott pflichtete dem Vorschlag bei. «Mit 18 Jahren ist man volljährig – und für alles verantwortlich», meinte die 25-jährige Essenerin, die ihre Karriere fortsetzen will. Sie spielt damit darauf an, dass in der Causa Walijewa der Verdacht auch in Richtung des Begleitpersonals sehr schwer wiegt. Ihren Anwälten zufolge soll sie das Mittel versehentlich in geringer Menge durch ein gemeinsam mit dem herzkranken Opa genutztes Glas zu sich genommen haben. Experten halten das für eine Ausrede, der Übertragungsweg durch Speichel sei so gut wie ausgeschlossen.

In den medialen Fokus rückte nun auch Walijewas Sportarzt Filipp Schwetski – in Sachen Doping-Vergehen alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Er gestand, 2007 russischen Ruderern intravenös Medikamente verabreicht zu haben und wurde vorübergehend gesperrt. Als er bei der Finlandia Trophy Ende vergangenen Jahres plötzlich an der Seite Walijewas auftauchte, wunderten sich sogar russische Medien. «Was ist das für ein Mann mit Schal neben Walijewa», titelte damals etwa das Portal «sports.ru».

Es besteht noch viel Aufklärungsbedarf. Damit wird sich nach den Peking-Spielen die russische Anti-Doping-Agentur Rusada beschäftigen. Sie hatte Walijewa am 8. Februar erst vorläufig suspendiert und eine Untersuchung gegen das Umfeld der minderjährigen Athletin eingeleitet. Einen Tag später hob die Disziplinarkommission der Rusada die Sperre auf. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) kann jede Entscheidung vor dem Internationalen Sportgerichtshof anfechten.

«Das Doping von Kindern ist schlimm und unverzeihlich», twitterte Wada-Präsident Witold Banka. Ärzte, Trainer und sonstige Betreuer, die Minderjährigen leistungssteigernde Mittel verabreichen würden, sollten lebenslang gesperrt werden. «Ich persönlich bin auch der Meinung, dass sie ins Gefängnis gehören», betonte der Pole.

Von Andreas Schirmer und Hannah Wagner, dpa

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