Olympia-Medaillen, WM-Titel, große und kleine Kristallkugeln: Skirennfahrer können im Laufe ihrer Karriere einiges gewinnen.
Linus Straßer wollte immer eines: die Gams. Am besten die große, goldene, die so begehrte Trophäe für einen Sieg in Kitzbühel. Seit Sonntag kann der Slalom-Spezialist einen Haken an den jahrelangen Traum machen. Der Ganslernhang ist bezwungen, der wichtigste Torlauf des Ski-Weltcups gewonnen und «das Ding endlich im Stall», wie es Männer-Bundestrainer Christian Schwaiger formulierte.
Straßers Kitzbühel-Coup hat für kollektives Aufatmen im Deutschen Skiverband gesorgt – hatte der DSV doch in diesem bislang sehr mauen Winter noch keinen Sieg und bei den Männern nicht einen Podestplatz zu bejubeln gehabt. Einzig Slalom-Fahrerin Lena Dürr war viermal auf das Podium gefahren. Ganz nach oben hatte es nun aber Straßer geschafft, und sein Coup soll für den weiteren Saisonverlauf neuen Schwung bringen.
Er fahre einfach «saugut Ski im Moment», sagte Straßer nach dem vierten Weltcup-Sieg seiner Karriere. Das lässt für den Nachtslalom in Schladming an diesem Mittwoch (17.45 Uhr/BR und Eurosport) direkt auf die nächste Gala des 31-Jährigen hoffen. Immerhin hat er das Flutlicht-Spektakel auf der Planai vor zwei Jahren ja auch schon mal gewonnen.
Ein Kreis schließt sich
Zumal Straßer nun auch den Fluch los ist, just bei seinem «Heimrennen» die Leistung nicht zu bringen. Dort, wo als Kind für ihn alles begonnen hatte, wo er als junges Mitglied des Kitzbüheler Ski Club den Ganslern hinuntersauste, genau dort schloss sich mit dem Sieg am Wochenende ein Kreis für ihn, sagte der Wahl-Tiroler.
Von der Atmosphäre und den Emotionen her gebe es für ihn nichts Größeres als diesen Triumph, erklärte Straßer, der nur wenige Kilometer weiter in Kirchberg wohnt. Entsprechend befreit kann er die sieben verbleibenden Slaloms des Winters nun angehen. In der Gesamtwertung seiner Paradedisziplin ist der gebürtige Münchner auf Platz zwei vorgerückt. Ob er den führenden Österreicher Manuel Feller noch einholt, spielt aber kaum eine Rolle. Schon jetzt ist Straßer «ein ganz, ganz Großer», wie Christian Neureuther meinte.
«Dieser Sieg ist extrem wichtig für den deutschen Skirennsport», erklärte der 74-Jährige, der genau wie sein Sohn Felix einst selbst in Kitzbühel gewonnen hat. «Es tut gut, wenn ein Athlet so in den Fokus rückt.»
Zumal mit Abfahrts-Ass Thomas Dreßen nur einen Tag zuvor ein deutscher Ausnahmeathlet abgetreten ist. Wieder mal. Durch die Rücktritte von Felix Neureuther, Maria Höfl-Riesch oder Viktoria Rebensburg waren dem DSV in den vergangenen Jahren schon große Namen und reichlich Strahlkraft verloren gegangen. Dreßen hätte einer sein können, der die Lücke zumindest ein Stück weit hätte schließen können. Doch viele Verletzungen verhinderten es.
Speed-Männer erleben Winter zum Vergessen
Lena Dürr hat sich nach langem Anlauf in die Slalom-Weltelite der Damen vorgearbeitet, fährt dort aber im Schatten von US-Superstar Mikaela Shiffrin. Parallel-Weltmeister Alexander Schmid ist nach seinem Kreuzbandriss noch nicht topfit. Und Dreßens Ex-Kollegen, die deutschen Speed-Männer, erleben bislang einen Winter zum Vergessen.
Nun schwingt sich also Straßer zum Hoffnungsträger auf. An Talent fehlte es ihm nie, an Konstanz in der Vergangenheit dafür umso häufiger. Aber: Er gehört zur Weltspitze. Von den jüngsten vier deutschen Weltcup-Erfolgen seit Anfang 2021 gehen drei auf sein Konto. Und er ist eben auch für die ganz besonderen Momente gut. Wie 2022 beim Sieg in Schladming, wie am Sonntag in Kitzbühel. Traumfahrten wie diese sind es, die ganzen Teams aus einem Form- oder Stimmungstief helfen können.
Eine «extrem heilsame Aktion» sei Straßers Triumph gewesen, sagte DSV-Alpinchef Wolfgang Maier. «Auch, wenn wir das eine oder andere Thema noch vor uns haben.» Der Funktionär ist lange genug im Geschäft, um sich auch von Momenten wie jenen am Sonntag in Kitzbühel nicht blenden zu lassen. «Aber das gibt allen, die hier arbeiten, Motivation.»