Gegen alle Widerstände: Skispringer Andreas Wellinger ist die deutsche Medaillenhoffnung bei der WM. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Daniel Karmann/dpa)

Die vergangenen deutschen Skisprung-Höhepunkte verfolgte Andreas Wellinger aus ganz gemütlicher Perspektive. Als Olympiasieger von 2018 sah er im Auslauf des berühmt-berüchtigten Bergisels oder von einem großen Sofa im heimischen Chiemgau zu, wie seine Teamkollegen Medaillen und Titel sammelten – und er unfreiwillig keinen Anteil mehr daran hatte.

Doch in den vergangenen zwölf Monaten hat sich seine Situation rasant verändert. «Wellinger ist aktuell in der Sphäre der besten Leute», sagte Bundestrainer Stefan Horngacher. Bei der WM in Planica, die für das deutsche Team dank Einzel-Gold von Katharina Althaus überragend begann, ist Wellinger wieder mittendrin – statt gar nicht dabei.

Wellinger nicht klein zu kriegen

Sein Weg zurück in die absolute Weltspitze war dabei extrem lang. Quasi mit der Goldmedaille von Pyeongchang vor fünf Jahren verabschiedete sich der 27 Jahre alte Bayer aus den vorderen Rängen. Es folgten: Ein Kreuzbandriss, mehrere Formtiefs, eine Corona-Infektion unmittelbar vor den nächsten Winterspielen in Peking und ganz viele negative Gedanken.

«Die schwierigste Phase war die Saison vor zwei Jahren, als ich nach der Vierschanzentournee raus bin und unterirdisch skigesprungen bin. Körperlich und geistig voll da zu sein, aber leistungsmäßig so viele Fehler zu machen, ist schwer zu akzeptieren», sagte Wellinger der Deutschen Presse-Agentur. Er kriselte monatelang und schaffte oft nicht mal den Sprung unter die besten 30. Der aktuelle Winter wirkt dagegen wie eine sportliche Wiederauferstehung.

Die Rückkehr auf die große Bühne

Wellinger holte zuletzt zwei Einzel-Siege im Weltcup. Er – und nicht Karl Geiger oder Markus Eisenbichler – ist am Samstag (17.00 Uhr/ZDF und Eurosport) im WM-Einzel auf der Normalschanze der deutsche Medaillenkandidat Nummer eins. «Ich habe das Gefühl, dass er den Lead in der Mannschaft übernommen hat. Er ist momentan unser aussichtsreichster Sportler», sagte Horngacher, der Wellinger derzeit auf einer Stufe mit Dominator Halvor Egner Granerud (Norwegen) und Polens Dawid Kubacki sieht.

Seine Karriere ist sonderbar, Wellinger hatte mit 22 schon Goldmedaillen bei Olympia und WM angesammelt – und stürzte dann in ein Tief. Seitdem ist viel Zeit vergangen. «Ich habe mich definitiv persönlich weiterentwickelt über die Jahre. Ich würde aber sagen, dass ich in meiner Rolle der gleiche Hampelmann bin, der ich immer war», sagte Wellinger, der nicht nur wegen seines Hobbys Surfen wie der Sunnyboy des deutschen Teams wirkt. Lockerheit versuchte er auch in Krisenzeiten immer auszustrahlen.

Der Sieg gegen den Kreuzbandriss

Wie er sportlich wieder in die Spur gekommen ist, ist derzeit Debattenthema für Experten und ehemalige Topathleten, die die Rückkehr in die Elite analysieren. Für Coach Horngacher war dieser Schritt absehbar und logisch. «Es ist eigentlich überhaupt nicht überraschend. Er hat Ende des letzten Winters schon ansteigende Form gehabt. Im Sommer hat er zu 99 Prozent den Ton angegeben», sagte der 53 Jahre alte Tiroler.

Besonders bemerkenswert ist, dass Wellinger einen Kreuzbandriss überwunden und danach den Weg zurück nach oben geschafft hat. Das ist selten, denn die schwere Knieverletzung gilt im sensiblen Skispringen als echte Karrierebremse. Alleine aus dem deutschen Team sind danach Severin Freund, Stephan Leyhe, David Siegel und Carina Vogt in den vergangenen Jahren nicht mehr auf das Level zurückgekommen, das sie vor der Verletzung hatten. Auch an Wellinger ging das Jahr Pause nicht spurlos vorbei. «Das war eine Riesenchallenge, den Weg wieder herauszufinden. Ich bin mit großen Fragezeichen von Wettkampf zu Wettkampf gefahren», sagte der Olympiasieger. Diese Phase ist nun vorbei.

Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa

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