So ganz ohne Skisprung-Feeling kommt Stephan Leyhe auch jetzt nicht aus. In den schneereichen vergangenen Wochen wurde der verletzte 29-Jährige spontan zum Baumeister und bastelte sich auf einem Hügel neben der Wohnung eine Mini-Schanze.
«Ich wollte diese Bewegungen mal wieder ausprobieren: In die Anfahrt gehen und abspringen», sagt Leyhe zu seinem Experiment mit Langlaufskiern und lacht.
Wenn der Skisprung-Zirkus jetzt in Willingen Station macht, kann der Hauptdarsteller des vergangenen Jahres nur zuschauen. Ausgerechnet in seinem hessischen Heimatort hatte Leyhe seinen ersten und bis heute einzigen Einzelsieg im Weltcup gefeiert. Nicht einmal ein Jahr ist das her, und trotzdem wirken die Gedanken daran nicht nur wegen Leyhes Kreuzbandrisses und der langen Zwangspause wie ein Blick in lange vergangene Zeiten.
Zu «Oh, wie ist das schön» und dem Waldecker Lied, einer Art Hymne der Region, hatten tausende Fans Leyhe an der Mühlenkopfschanze hochleben lassen. «Das ist wie ein Märchen für ihn», hatte Bundestrainer Stefan Horngacher damals Leyhes Triumph treffend beschrieben und selbst bei Leyhes Eltern auf einer Spontanparty in der Hauseinfahrt gefeiert – unvorstellbar in der Corona-Pandemie.
«Ich bin froh, dass das letztes Jahr noch passiert ist. Dass ich die ganzen Emotionen, die ich damit verbinde, abspeichern konnte», sagt Leyhe und ergänzt: «Damit kann ich mich motivieren. Wenn ich mir diesen Tag noch mal im Internet anschaue, kriege ich gleich wieder Gänsehaut.»
Einen Monat nach dem großen Erfolg stürzte Leyhe in Trondheim schwer und riss sich das Kreuzband im linken Knie. Danach wurde die Saison wegen Corona abgebrochen, und für Leyhe stand recht schnell fest, den kompletten Weltcup-Winter 2020/21 auszulassen und ihn der Genesung zu widmen. Leyhe weiß unter anderem von seinen Teamkollegen Andreas Wellinger und Severin Freund, die nach ähnlichen Verletzungen schon lange nach ihrer Topform suchen, wie schwer die Rückkehr zu alter Stärke werden kann.
Gesundheitlich ist er auf einem guten Weg. Das Knie macht im Alltag und im Training keine Probleme mehr. Mit Krafttraining in der Halle und Skilanglauf in der herrlichen Winterlandschaft rund um seinen Wohnort im Schwarzwald bereitet sich Leyhe auf sein Comeback vor. «Mir haben schon sehr viele Leute gesagt, dass ich mir für die Verletzung das beste Jahr ausgesucht habe – in jeglicher Hinsicht», sagt er mit Blick auf die Schneebedingungen und die wegen Corona in diesem Jahr besonderen Strapazen bei den Skisprung-Wettkämpfen seiner Kollegen vor leeren Rängen.
Natürlich ärgert sich Leyhe auch, dass er in einem Winter mit Skiflug-WM und Ski-nordisch-WM in Oberstdorf nicht mitmischen kann. Die Laune lässt er sich aber nicht verderben. Stattdessen nutzt er die Zeit für Dinge, zu denen er sonst nicht kommt. In seiner Freizeit schaute er beim Weltcup in Titisee-Neustadt vorbei und probierte sich als Co-Kommentator im Fernsehen aus. Leyhe hofft, am Ende des Winters wieder die ersten weiten Trainingssprünge zu machen – von einer richtigen Schanze und nicht nur auf dem heimischen Hügel.