Katharina Hennig und Victoria Carl sprangen jubelnd auf das Siegerpodest und tanzten in der Eiseskälte von Zhangjiakou vor Freude.
«Es ist unbeschreiblich», sagte Hennig nach dem ersten Olympiasieg deutscher Langläuferinnen seit zwölf Jahren. «Wir beide sind gerade selber emotional noch völlig überfordert, was uns da heute gelungen ist.» Die 25 Jahre alte Hennig und die erst kurzfristig ins Team gerutschte Carl sorgten mit ihrem Wahnsinns-Triumph nicht nur für eine Langlauf-Sensation, sie machten ihrem Teamchef auch ein ganz besonderes Präsent.
Hennig: «Können es noch gar nicht richtig fassen»
«Das war ein Geburtstagsgeschenk der Extraklasse, was die Mädels sich da überlegt haben», sagte der überwältigte Peter Schlickenrieder, der am Mittwoch 52 Jahre alt wurde. «Heute wird definitiv getanzt und Geburtstag gefeiert», kündigte er an und ergänzte: «Entsprechend frisch sind wir!»
Auf dem Weg zum großen Triumph spielte die Frische, aber auch das Tanzen eine bedeutende Rolle. Jeden Tag um 10 vor 10 habe man im Team die Türen aufgemacht und gemeinsam getanzt. Salsa, Techno, Hardrock – alles habe Damen-Trainer Erik Schneider als DJ in seinen Playlists gehabt, berichtete Schlickenrieder und lachte. Carl sagte: «Das Tanzen, das befreit einfach. Wir waren lockerer als jemals zuvor. Ich glaube, das ist ein kleiner Schlüssel, der uns dabei geholfen hat.»
Gut eine Stunde vor dem großen Interviewmarathon hatte Hennig ihre Teamkollegin in den chinesischen Bergen förmlich über die Ziellinie gebrüllt. Dann hatte sie unsicher auf die Ergebnisanzeige geschaut und anschließend Carl mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Freude um den Hals gefallen.
In einem grandiosen Schlusssprint machte die 26 Jahre alte Carl den Sieg im Teamsprint gegen die favorisierten Schwedinnen, die Silber holten, und die drittplatzierten Russinnen perfekt. Das zuvor letzte deutsche Langlauf-Gold hatten Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad 2010 in Vancouver geholt – ebenfalls im Teamsprint.
Schlickenrieder kämpft mit den Tränen
«Gefühlt sind wir im falschen Film. Wir können es noch gar nicht richtig fassen, was wir gemacht haben», berichtete Hennig. Und Carl sagte: «Ich bin voller Adrenalin. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich laufe herum wie Falschgeld.»
Schlickenrieder kämpfte im ARD-Interview mit den Tränen. «Das ist ein brutaler Traum. Ich muss mich ein bissel zusammenreißen. Wahrscheinlich realisiert man das erst in zehn oder 20 Jahren», meinte der einstige Weltklasse-Läufer. «Ich glaube, ich könnte den ganzen Tag heulen.»
Für Hennig und Carl war es jeweils schon das zweite Edelmetall bei den Spielen. Am vergangenen Samstag hatten sie gemeinsam mit Katherine Sauerbrey und Sofie Krehl Silber mit der Staffel gewonnen.
Carl ersetzte Hennig-Partnerin Sauerbrey
Für den Team-Sprint war eigentlich Sauerbrey vorgesehen gewesen. Die 24-Jährige fühlte sich laut Deutschem Skiverband (DSV) aber nicht hundertprozentig fit und trat deshalb nicht an. «Ich muss der Katherine einen Riesenrespekt zollen», sagte ihre Vertreterin Carl. «Wenn man das Gefühl hat, man ist nicht in Topform und verzichtet dann darauf: Das ist absoluter Wahnsinn. Das zeigt so viel Größe.» Hennig nickte zustimmend.
Sauerbreys Ersatzfrau erwies sich als Glücksfall. Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen im zweistelligen Minusbereich konnten die beiden Deutschen im Finale von Beginn an das Tempo der Spitzenduos mitgehen. Beim letzten Wechsel führte Hennig knapp vor Finnland und den USA, als sie auf Carl übergab.
«Ich habe vorher noch zur Katha gesagt: Auf der Zielgeraden zerstöre ich sie», erzählte Carl. «Ich wusste, dass ich schieben kann, dass das meine Stärke ist. Gesagt, getan.» Auch Schlickenrieder konnte vor allem ihre Vorstellung kaum fassen. «Wenn wir ins Finale kommen, ist das schon super», habe er nach der Umstellung vorher gesagt. «Und dann macht die Vicky etwas, was sie noch nie gemacht hat.»
In China in der Form ihres Lebens
Carl präsentiert sich bei den Winterspielen in der Form ihres Lebens und trug entscheidend zu den beiden großen und unerwarteten Medaillenerfolgen der deutschen Loipen-Asse bei. 2018 in Pyeongchang waren die Langläuferinnen und Langläufer ohne Medaille geblieben, 2014 in Sotschi hatte es Bronze für die Frauen-Staffel mit Nicole Fessel, Stefanie Böhler, Nystad und Denise Herrmann gegeben. Dass es diesmal zweimal Edelmetall und sogar einen Olympiasieg zu bejubeln gibt, war nicht abzusehen gewesen.
Vancouver-Olympiasiegerin Evi Sachenbacher hat sich vom Langlauf-Gold der deutschen Teamsprinterinnen begeistert gezeigt. «Es ist der Wahnsinn, einfach fantastisch. Solche Medaillen, mit denen niemand rechnet, sind die allerschönsten. Die Mädels haben sich in den letzten Jahren sehr hart auf genau das Rennen vorbereitet. Dass es jetzt so aufgeht, ist unglaublich», sagte die 41-Jährige bei Sport1.
Die Männer hatten im Teamsprint dagegen Pech. Albert Kuchler und Janosch Brugger schieden bereits im Halbfinale aus. Brugger verlor auf der letzten Runde einen Ski und hatte damit keine Chance mehr, in den Kampf um das Finale einzugreifen. Den Olympiasieg sicherten sich die beiden Norweger Erik Valnes und Johannes Hoesflot Klaebo vor dem finnischen Paar Iivo Niskanen/Joni Maki und dem russischen Duo Alexander Bolschunow/Alexander Terentew.