Der Winter, in dem Andreas Wellinger und Richard Freitag groß abräumten, ist gerade einmal drei Jahre her. Als das neue Skisprung-Topduo wurden sie bezeichnet, nach einem Traumstart gar Vergleiche mit Martin Schmitt und Sven Hannawald angestellt.
Bei der Vierschanzentournee gebührte den beiden die größtmögliche Bühne. Doch im Dezember 2020 kommen Wellinger und Freitag mit jeweils null Weltcup-Punkten zur Tournee. Über Olympiasieger Wellinger und dessen Sprünge sagt Bundestrainer Stefan Horngacher: «Er hat sich ziemlich ins Abseits manövriert. Momentan läuft es gerade nicht so.»
Sowohl der völlig verunsicherte Wellinger als auch der in diesem Winter noch gar nicht fürs Weltcup-Team berücksichtigte Freitag sind gute Sinnbilder dafür, welche Sorgen die deutschen Adler mit in die Tournee nehmen. Klar, Top-Flieger Markus Eisenbichler springt unbeschwert und zählt zum allerengsten Favoritenkreis. Aber dahinter? Wellinger und Freitag befinden sich in schweren Schaffenskrisen, auch der frühere Weltmeister Severin Freund erreicht einfach nicht mehr sein Top-Niveau vergangener Tage. Ob der sportlich unumstrittene Flug-Weltmeister Karl Geiger nach seinem positiven Corona-Test zurückkehren darf, ist völlig offen.
Für den Tournee-Start in Oberstdorf am 28. Dezember hat Horngacher sechs Plätze für den A-Kader und sechs für die nationale Gruppe. Angesichts ihrer stark schwankenden Leistungen müssen Wellinger, Freitag und Freund befürchten, in der nationalen Gruppe zu starten. Frühere Durchschnittsspringer wie Pius Paschke oder Martin Hamann sind in der internen Rangordnung klar am früher famosen Flug-Trio vorbeigezogen.
Die traditionelle Generalprobe in Engelberg war für Wellinger und Freund noch mal ein herber Dämpfer. Zumindest bei Olympiasieger Wellinger, der nach einem Kreuzbandriss eineinhalb Jahre pausieren musste, hat Chefcoach Horngacher aber die Hoffnung auf schnelle Besserung. «Engelberg hat schlecht ausgeschaut, aber so schlecht war es gar nicht. Ich sehe bei ihm die Talsohle durchschritten», urteilte der Tiroler.
Freund, dem das Springen im Wintersport-Paradies in der Schweiz schon seit einigen Jahren schwer fällt, hatte Horngacher erfolglos eine Trainingspause ans Herz gelegt. «Er hat sich für die Challenge Engelberg entschieden, was im Nachgang nicht optimal war», befand Horngacher. Freund will sich vor der Tournee nicht unter Druck setzen. «Ich gehe da eigentlich mit keinen Erwartungen hin», sagte der 32-Jährige im Interview dem «Münchner Merkur» (Dienstag). «Ich freue mich zunächst einmal, dass ich dort dabei sein kann, das ist immer etwas Besonderes. Für mich sind die Einzelsprünge wichtig, dass ich mir auch selbst zeigen kann: Daran muss ich arbeiten, da kann es hingehen.»
Die größte Unbekannte in dem Trio ist aber Richard Freitag. 2017/18 kämpfte er um Deutschlands ersten Tournee-Sieg seit dem Triumph Sven Hannawalds, bevor ihn ein Sturz in Innsbruck stoppte. Nun zählt er selbst national nicht mehr zur Spitzengruppe. Horngacher geht davon aus, dass sich das bald ändern könnte. «Ich bin überzeugt, dass er den Sprung reinschafft ins Team und uns in der nächsten Zeit verstärken wird.»