Schon beim Training in kurzer Hose und T-Shirt an Silvester hatte Roman Rees ein ungutes Gefühl. «Da habe ich überlegt, ob überhaupt ein Wettkampf vorbereitet werden und dann auch stattfinden kann», sagte der Biathlet. Im viel zu warmen Januar wird es in dieser Woche zwar einen Weltcup in Ruhpolding geben, die Anstrengungen dafür werden aber immer größer.
«Das beschäftigt mich, denn ich merke, dass sich etwas verändert», sagte Rees: «Schon wenn ich vier Jahre zurückschaue, merke ich, dass etwas mit dem Winter nicht stimmt.»
Das ist auch im Chiemgau deutlich zu sehen. Die Helfer haben die Strecke trotz Regens und Wärme mit viel Mühe so vorbereitet, dass es am Mittwoch (14.10 Uhr/ARD und Eurosport) mit dem Männer-Einzel losgehen kann. Schnee gab es nur aus den Depots, eingelagert aus dem Vorjahr. In der ansonsten grünen Region liegt nun ein weißes Band, auf dem die Skijäger bis Sonntag sechs Rennen bestreiten sollen. Ob das wirklich klappt, hängt aber auch davon ab, wie sich das Wetter entwickelt. Es soll wieder regnen und bis zu acht Grad warm werden.
Olympiasiegerin blutet das Herz
«Es ist wirklich schlimm, da blutet mir auch das Herz, wenn ich da bin und sehe, wie die Natur gerade erwacht, als wäre es schon Frühling», sagte Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick und ergänzte: «Wir zittern alle und fiebern auf den Heim-Weltcup hin. Wir hoffen, dass coole Bedingungen sind, aber es sieht wirklich traurig aus.»
Oft schon glich Ruhpolding in der Vergangenheit im Januar einem Winter-Wunderland, tief verschneit, manchmal fiel sogar zu viel vom Himmel. Jetzt ist das anders, der Schnee liegt eingelagert im Depot. «Die Gebiete, in denen es Schneesicherheit gibt, werden weniger», sagte Klimaforscher Werner Aeschbach vom Institut für Umweltphysik in Heidelberg der Deutschen Presse-Agentur: «In 2000 Metern wird es aber immer noch viel Schnee geben. Unter 1000 Meter gibt es diese Sicherheit aber eben mittelfristig nicht mehr.»
Und so wird es auch schwer für den professionellen Wintersport in Mitteleuropa. Herrmann-Wick und Co. hätten um die Feiertage gerne in Ruhpolding trainiert, doch es war zu warm, gab keine Loipe. Genau wie in Oberhof, wo in einem Monat die Biathlon-WM stattfindet. Im Thüringer Wald fehlt es ebenso an Schnee, auch am Rennsteig werden die Strecken mit Reserven aus den großen Depots belegt und für die Wettkämpfe vorbereitet. Die Austragung der WM soll aktuell aber genauso wenig in Gefahr sein wie die Ruhpolding-Rennen, bestätigte der Weltverband IBU auf dpa-Anfrage.
Lange zittern mussten zuletzt auch die Organisatoren des Alpin-Weltcups in Garmisch-Partenkirchen, in Oberstdorf sah es zudem bei Tour de Ski oder Vierschanzentournee mehr trist als winterlich aus. Der für Mitte Januar geplante Weltcup der Nordischen Kombinierer in Chaux-Neuve musste wegen nicht ausreichender Schneelage abgesagt werden.
Innerhalb der IBU spielen die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel eine große Rolle, der ökologische Fußabdruck der Ausrichter wird längst berücksichtigt. Die nächsten Jahre werden herausfordernd, denn die Klimakrise sorgt an vielen Orten absehbar dafür, dass es weniger Schnee und kürzere Kältephasen gibt. Im Dezember wurde in Frankreich notgedrungen Schnee per Lastwagen angeliefert, um das Event vor einer Absage zu retten.
Diskussionen über die Zukunft
Was also tun? «Wir sind uns der Thematik bewusst und natürlich diskutieren wir, wie ein Biathlon-Kalender der Zukunft aussehen kann», sagte IBU-Mediendirektor Christian Winkler: «Das sind sehr viele Stellschrauben, das ist kein einfaches Unterfangen.» Bis zur Saison 2025/2026 steht das Programm fest, erst in der Periode bis 2030 wird es wohl erste Anpassungen geben. Ob die Länge der Saison verändert wird, neue Regionen erschlossen werden müssen oder Ausrichter ihren Weltcup-Status verlieren werden, ist noch völlig offen.
«Es geht jetzt gerade so schnell, und es gibt so absurd warme Temperaturen», sagt Rees. In seiner Freiburger Heimat trainierte der 29-Jährige um den Jahreswechsel bei bis zu 19 Grad fast wie im Sommer. Herrmann-Wick musste ihre Ruhpoldinger Wahlheimat verlassen. «Ich habe die Flucht ergriffen, den Schnee und die besseren Trainingsbedingungen gesucht», sagte die 34-Jährige. In Südtirol und der Schweiz wurde sie fündig, Deutschlands bester Biathlet Benedikt Doll verzichtete auf das Ski-Training und wich notgedrungen auf Skiroller aus. «Es ist wirklich zum Schreien, das macht wirklich überhaupt keinen Spaß», sagte der Schwarzwälder angesichts wenig winterlicher Bedingungen: «Man muss sich Gedanken machen im Wintersport, denn man braucht einfach den Schnee.»
Zu oft werden die nordischen Athleten schon auf die Skiroller gezwungen, «alternatives Trainingsmittel» nennen sie das. Doch diese Alternative wird vor allem für den Nachwuchs zum Problem. Der nachfolgenden Generation wird es an Grundlagentraining fehlen, vermutet Rees. Er selbst habe viele Jahre auf Schnee gestanden, konnte so die richtige Technik lernen. Aber: «Wenn ich an meine Kollegen in der Trainingsgruppe denke, dann ist das schwer, wenn sie im Winter immer nur joggen oder rollern müssen.»