Bereit: Oberhof fiebert der Biathlon-WM entgegen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Michael Reichel/dpa)

Im Sonnenschein schippten die Helfer am Tag vor dem WM-Start die Schneemassen von den Tribünen, während in der noch menschenleeren Biathlon-Arena gut hörbar die Trainingsschüsse auf die Scheiben knallten.

Allein beim Gedanken an tausende deutsche Fans auf den Tribünen und die Gänsehaut-Atmosphäre in Oberhof kam Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick bereits ins Schwärmen. «Heim-WM – das wird ein Riesending für ganz Deutschland», sagte die beste Skijägerin des Landes.

Vor dem Auftakt am Mittwoch (14.45 Uhr/ZDF und Eurosport) mit der Mixed-Staffel sind die Erwartungen an die Gastgeber riesig. «Es ist schon ein anderer Druck. Ich denke, man muss ihn einfach gut händeln, dann passt das schon», sagte Vanessa Voigt, die das deutsche Quartett als Startläuferin anführen wird. Außerdem sind Herrmann-Wick, Benedikt Doll und Roman Rees über 4 x 6 Kilometer dabei. «Wir haben alles getan, um gut in die WM reinzukommen», sagte Herrmann-Wick und wünschte sich in Thüringen ein ähnliches Ambiente wie im vergangenen Sommer bei den European Championships der Sommersportler in München. «Das war grandios. Es wäre cool, wenn wir das schaffen.»

Keine Medaillenvorgabe

Natürlich weiß die Ex-Weltmeisterin, dass es dazu unbedingt deutsche Erfolge braucht. Eine Medaille wäre der perfekte Startschuss in neun Wettkampftage mit insgesamt zwölf Entscheidungen. Doch Edelmetall zählen wollen die Gastgeber bei der ersten WM im eigenen Land seit elf Jahren nicht. «Wir haben keine Medaillenvorgabe ausgegeben», sagte Bundestrainer Mark Kirchner, der seiner Linie auch in seiner Heimat treu bleibt. Denn so speziell sei die WM doch gar nicht. «Es wird besonders gemacht, aber ich schiebe das weg», sagte Kirchner: «Die zehn Kilometer sind am Ende immer noch zehn Kilometer lang. Wir sind gut beraten, uns selbst nicht noch den Rucksack aufzuhängen.»

Denn das machen andere schon – und hoffen auf ähnliche Festspiele wie 2012 in Ruhpolding oder 2004 ebenfalls in Oberhof. Die vorherigen Welttitelkämpfe in Deutschland lockten insgesamt jeweils mehr als 200.000 Fans an, nun sollen es über 150.000 werden. Bis zu 27.500 jeden Tag, dazu könnten wieder Millionen vor den TV-Geräten kommen. Für 40 Millionen Euro wurde die gesamte Sportanlage aufwendig modernisiert. «Wenn da 20.000 bis 25.000 stehen, die in erster Linie uns anfeuern, kann das wahnsinnig pushen», sagte Sportdirektor Felix Bitterling: «Wenn wir da gut sind, können wir einen kleinen Biathlon-Boom auslösen. Das ist unser Ziel. Wir werden dafür kämpfen und alles geben.»

Enorme Konkurrenz

Doch die Konkurrenz ist enorm. Die Zeiten deutscher Seriensiege wie von Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier sind längst vorbei. Bei den Frauen gibt es eine breite Weltspitze, in der die 34-jährige Sächsin Herrmann-Wick in jedem Rennen zu den Mitfavoritinnen zählt und die Thüringerin Vanessa Voigt für Überraschungen sorgen könnte. Bei den Männern ist Johannes Thingnes Bö bei jedem Start in der 1600-Einwohner-Gemeinde der Gold-Favorit und dürfte der große Star am Rennsteig werden. Auch insgesamt sind es die Norweger, die es für den deutschen Hoffnungsträger Benedikt Doll und Co. zu schlagen gilt. 

«Die Leute warten nur auf mein Scheitern und sie werden sagen, es ist das Größte, wenn es passiert», sagte der Norweger Bö, der elf von 14 Saisonrennen gewinnen konnte. Als erster männlicher Skijäger könnte er in Oberhof sieben WM-Medaillen in sieben Rennen gewinnen, bei den Frauen gelang das Marte Olsbu Röiseland schon 2020 in Antholz. Die Norwegerin, die mit dem deutschen Frauen-Co-Trainer Sverre Olsbu Röiseland verheiratet ist, könnte ebenso erneut zur Medaillensammlerin werden. 

«Druck in was Positives ummünzen»

«Wenn man mit sich selber im Reinen ist, kann man Druck in was Positives ummünzen», sagte Herrmann-Wick derweil: «Wir wollen, dass eine coole Atmosphäre ist, das kann dafür sorgen, dass Athleten auch über sich hinauswachsen.» Nur wenn das passiert, dürfte es eine für die Gastgeber sportlich erfolgreiche WM werden. Bei der bislang letzten 2021 auf der slowenischen Pokljuka gab es zwar jede Menge Top-Ten-Platzierungen, aber eben auch nur Einzel-Silber für den schon zurückgetretenen Arnd Peiffer und Staffel-Silber für die Frauen.

«Ich glaube, dass in jedem Rennen die Chance da ist und unsere Athleten mitmischen können. Ob es für eine Medaille langt, muss man dann schauen», sagte Peiffer der dpa vor dem WM-Start. Der 35 Jahre alte Olympiasieger von 2018 ist als Experte für die ARD vor Ort, genau wie Doppel-Olympiasiegerin Dahlmeier für das ZDF. Die 29-jährige Bayerin glaubt in erster Linie an Staffel-Medaillen: «Ich habe das Gefühl, dass da viel möglich ist.» 

Viele Fans und viel Schnee

Dabei helfen sollen auch die Fans. Nach zwei Jahren Geister-Events ohne Zuschauer wegen der Corona-Pandemie kehren sie in Oberhof auf die Tribünen zurück. Schon beim Weltcup-Heimspiel in Ruhpolding im Januar gab es einen Vorgeschmack, welchen Unterschied sie machen können, und trieben die Deutschen nach vorn. Nun wird es noch deutlich lauter und emotionaler werden. «Das wird besonders», sagte Herrmann-Wick.

Die Strecken im Thüringer Wald sind bereit für den Saison-Höhepunkt. Hatte es nach dem Jahreswechsel noch kaum Schnee und viel zu hohe Temperaturen gegeben, ist die Arena am Rennsteig tief eingeschneit, die Loipen sind perfekt präpariert. Und auch wenn es in der zweiten WM-Woche wie vorhergesagt wärmer werden sollte, drohen noch keine Probleme. Die Depots sind mit fast 40.000 Kubikmetern Kunstschnee bestens gefüllt.

Von Thomas Wolfer und Sandra Degenhardt, dpa

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