Der Gedanke an eine ganz besondere Ehre ließ Karl Geiger voller Vorfreude lächeln. «Das ist mega cool», sagte der beste deutsche Skispringer, der beim Auftakt der Vierschanzentournee in seiner geliebten Heimat Oberstdorf das Gelbe Trikot des Führenden im Gesamtweltcup tragen darf.
Geiger sprach von einem «Privileg» und ergänzte vor den idyllisch verschneiten Schweizer Bergen: «Das ist das, worauf man immer hinarbeitet: Dass man da mal als Letzter oben sitzen darf.» Beim traditionellen Generalproben-Wochenende für die Tournee in Engelberg holte sich der 28-Jährige reichlich Selbstvertrauen und verschaffte sich Gewissheit der eigenen Stärke.
Geiger in bestechender Form
«Jetzt sind mir mal wieder zwei richtige Granaten rausgerutscht und das gibt mir echt Aufwind», sagte Geiger nach seinem Sieg am Samstag vor dem starken Japaner Ryoyu Kobayashi. Sechs Tage nach seinem mit Abstand schlechtesten Saisonresultat meldete sich der Allgäuer eindrucksvoll zurück und zeigte mit Sätzen auf 137 und 140 Meter, dass der 22. Platz in Klingenthal wohl nur ein Ausrutscher in einer ansonsten konstant starken Saison war. Am Sonntag ließ Geiger einen zweiten Rang folgen. «Es war ein echt gutes Wochenende», sagte er im ZDF. «Jetzt heißt es erst mal gut regenerieren, die Weihnachtszeit genießen.»
Der ausgeglichene Familienvater, der sich auf die Festtage mit seinen Liebsten freut, lässt sich von schwächeren Sprüngen und kleineren Rückschlägen nicht aus dem Konzept bringen. In aller Ruhe und kontinuierlich hat sich Geiger zum absoluten Vorzeigespringer in der Mannschaft von Bundestrainer Stefan Horngacher entwickelt. Entsprechend selbstbewusst präsentiert sich der Bachelor of Engineering rund anderthalb Wochen vor dem Tournee-Start auf und neben der Schanze. Große Kampfansagen und laute Töne braucht er dafür nicht. Vielmehr strahlt Geiger Sicherheit und Souveränität aus. «Ich glaube, das Selbstvertrauen darf ich auch haben», sagte er in Engelberg.
Mit der malerisch gelegenen Großtitlisschanze verbindet ihn eine spezielle Beziehung. Kurz vor Weihnachten 2018 feierte Geiger hier seinen ersten Weltcupsieg im Einzel überhaupt. Dass er in den drei Jahren danach sieben WM-Medaillen abräumt – darunter vier goldene – und Skiflug-Weltmeister wird, war damals noch nicht abzusehen. Nun ruhen auf ihm die großen Hoffnungen, der erste deutsche Vierschanzentourneesieger seit Sven Hannawald vor 20 Jahren zu werden.
Eisenbichler: «Enttäuscht und ratlos»
Neben Kobayashi, der am Sonntag siegte, ist Geiger der große Favorit im Kampf um den goldenen Adler. Horngacher will von einem Zweikampf der beiden Ausnahme-Skispringer freilich nichts wissen. Für den österreichischen Coach, der das deutsche Team seit 2019 betreut, hat das Wochenende in der Schweiz mit Blick auf die Tournee keine allzu große Bedeutung. «Engelberg ist eine eigene Liga und die Vierschanzentournee ist noch mal ganz was anderes», sagte der 52-Jährige.
Darauf kann Markus Eisenbichler nur hoffen. Für den guten Kumpel von Geiger lief es in der Schweiz ganz mies. Am Samstag wurde er 27., am Sonntag schied der Bayer als 35. sogar nach dem ersten Durchgang aus. «Ich bin gerade wirklich enttäuscht. Ich bin ratlos», sagte Eisenbichler.
Richard Freitag war 2017 der bis dato letzte Deutsche, der als Gesamtführender zur Tournee reiste. Den prestigeträchtigen Sieg sicherte sich damals allerdings Kamil Stoch. Der Pole entschied alle vier Springen für sich. Freitags Träume endeten mit einem Sturz in Innsbruck. Geigers starke Form ist also eine sehr gute Voraussetzung, mehr aber auch nicht. Sicher ist allerdings: Die Ehre, am 28. Dezember als Letzter in der Qualifikation von Oberstdorf zu springen, kann ihm niemand mehr nehmen.