Die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa sitzt auf dem Eis und weint nach einem Sturz. (Urheber/Quelle/Verbreiter: David J. Phillip/AP/dpa)

Weinend saß Kamila Walijewa vor ihrer Doping-Anhörung auf dem olympischen Eis. Ein Trainingssturz hatte Russlands Wunderkind kurz die Fassung geraubt. Am Sonntag geht es in Peking für die 15-Jährige im Eilverfahren der Sportrichter um ihre zweite Gold-Chance bei den Winterspielen.

In dem hochbrisanten Sportkrimi um ein Dopingvergehen der Eiskunstläuferin, das erst bei Olympia bekannt wurde, soll noch am Montag ein Urteil verkündet werden. Dann erfährt Topfavoritin Walijewa, ob sie am folgenden Tag zum Damen-Einzel antreten darf.

Russlands Sportminister: «Absolut unschuldig»

Schon jetzt ist der heikle Fall eine schwere Belastung für die ohnehin umstrittenen Winterspiele in China und das Internationale Olympische Komitee. Stellt der positive Dopingtest beim größten Star unter den russischen Athleten in Peking doch einmal mehr den Umgang des IOC mit der dauerverdächtigen Sportmacht in Zweifel. Längst hat sich auch der Kreml in die Sache eingemischt. «Absolut unschuldig» sei Walijewa, beteuerte Sportminister Oleg Matyzin.

In dieser Überzeugung meldete das Team auch Walijewa für den Damen-Wettbewerb, als 26. von 30 Teilnehmerinnen steht sie auf der offiziellen Startliste für das Kurzprogramm am Dienstag. Doch vorher müssen drei Juristen der Ad-hoc-Kommission des Internationalen Sportgerichtshofs Cas entscheiden, ob die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada) eine am 8. Februar verhängte vorläufige Sperre Walijewas einen Tag später schon wieder aufheben durfte.

«Katastrophaler Fehler des Systems»

Nur dank der Rusada-Gnade darf das Supertalent noch im Capital Indoor Stadium von Peking sein Training für den nächsten Wettbewerb fortsetzen. Und nur dank der seltsamen Verzögerungen bei der Auswertung ihres Dopingtests vom 25. Dezember konnte sie ihre Mannschaft zu Beginn der Spiele zu Team-Gold führen. Erst am 7. Februar, dem Tag des Team-Finals, war nach Rusada-Angaben das Testergebnis aus dem Stockholmer Labor eingetroffen.

Diese Verzögerungen «hätten nie passieren dürfen», sagte US-Dopingjäger Travis Tygart bei «Yahoo Sports». Das Vorgehen sei «unentschuldbar» und ein «katastrophaler Fehler des Systems», schimpfte der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada. Die Russen nannten die aktuelle Corona-Situation und erkranktes Laborpersonal als Gründe für die lange Wartezeit. Das glaube er nicht eine Sekunde, sagte Tygart.

Trainerin im Fokus der Strafverfolger

Auch Walijewas Trainerin Eteri Tutberidse beschwerte sich, dass das Testergebnis mitten in die Winterspiele platzte. «Entweder ist dies ein fataler Zufall oder ein gut ausgeklügelter Plan», sagte Tutberidse. Mit strengem Blick und mütterlichen Umarmungen begleitet die 47-Jährige in diesen Tagen die Auftritte Walijewas auf der Eisfläche. In der Doping-Affäre gerät nun auch die erfolgsverwöhnte Drillmeisterin in den Fokus der Strafverfolger.

Das IOC mahnte Ermittlungen auch im Umfeld von Walijewa an. «Wir würden da eine harte Linie begrüßen. Auf die Entourage sollte in diesem und allen anderen Fällen geschaut werden», sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Die Welt-Anti-Doping-Agentur würde diesen Aspekt stärker berücksichtigen. Werden Trainer oder Betreuer überführt, Minderjährigen wie Walijewa verbotene Substanzen gegeben zu haben, droht ihnen eine Sperre von mindestens vier Jahren.

Das bei der Eiskunstläuferin nachgewiesene verbotene Herzmittel Trimetazidin, das die Blutzufuhr zum Herzen durch Weitung der Blutgefäße fördert, kam offenbar schon während des staatlich organisierten Sportbetrugs der Russen häufiger zum Einsatz. Über mehrere Jahre sei das Medikament russischen Athleten zur Leistungssteigerung verabreicht worden, sagte Whistleblower Grigori Rodschenkow der britischen «Mail on Sunday».

Walijewa ist eben keine von Vielen

Der Fall Walijewa weist demnach zurück in die dunkle Vergangenheit. Wegen des Skandals um vertuschte Manipulationen ist Russland wie schon bei den Sommerspielen in Tokio auch in Peking offiziell gesperrt. Die Sportlerinnen und Sportler treten als Team des Russischen Olympischen Komitees (ROC) ohne eigene Hymne und Landesfahne an. Durch die Form der Sanktionen sollte die nächste Generation russischer Sportler die Chance zum sauberen Neuanfang auch bei Olympia erhalten, erklärte das IOC. Dass nun eine 15-Jährige in einen Dopingfall verwickelt ist, bringt die Olympia-Bosse in Erklärungsnot.

IOC-Direktor Christophe Dubi gab sich betont gelassen. «Die Spiele sind die Spiele. Da ist es klar, dass eine Vielzahl von Problemen auftaucht, wenn es so viele Athleten und so viele Wettbewerbe gibt», sagte Dubi. Doch Walijewa ist eben keine von Vielen.

Ihr Fall könnte die Sportwelt noch eine ganze Weile beschäftigen. Über die Medaillenvergabe im Team-Wettbewerb werden die Cas-Richter zumindest jetzt nicht entscheiden. «Der Fall in seiner Gesamtheit wird erst zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt», sagte IOC-Sprecher Adams.

Von Christian Hollmann, Andreas Schirmer und Hannah Wagner, dpa

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