Mitglieder der ukrainischen Paralympics-Delegation vor der Eröffnungsfeier in Peking. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Uncredited/NPC Ukraine via POS via AP/dpa)

Der goldene Start in die Paralympics versank für das Team aus der Ukraine schnell wieder in Trauer und Sorge um die Heimat.

«Sie sind weiter sehr still und nachdenklich im Dorf», berichtete Deutschlands Chef de Mission Karl Quade aus dem Athletenlager bei den Winterspielen der Behindertensportler in Peking. Dem russischen Angriffskrieg nach einer Anreise-Odyssee entkommen, war den Ukrainern trotz der Führung im Medaillenspiegel nach dem Auftakttag nicht nach Feiern zumute gewesen.

«Der Generalsekretär zeigt mir jeden Tag Bilder von seiner Familie und wie es dort zugeht. Das ist alles sehr dramatisch», erzählte Quade sichtlich ergriffen. «Deshalb war es sicher wichtig für das Team, erfolgreich zu starten. Denn sie wollen hier vor allem ein Zeichen setzen und Aufmerksamkeit für Blau-Gelb in der Welt erzeugen», fügte Quade hinzu.

Zweiter in der Medaillenwertung

Genau das sei sein Antrieb gewesen, berichtete Grigori Wowtschinski nach seinem Gold-Lauf im Biathlon. «Ich habe jeden einzelnen Tag geweint», sagte der 33-Jährige. «Aber ich gebe mein Bestes, mein Land zu vertreten. Damit die ganze Welt den Namen Ukraine jeden Tag hört.» Nach dem Sonntag war die Ukraine als Zweiter in der Medaillenwertung hinter China weiter unter den Top-Nationen.

Mit den Gedanken an die Lage in der Heimat habe er auch die Strapazen der abenteuerlichen Anreise über Polen, die Slowakei, Österreich, Italien und die Türkei überwunden, sagte Wowtschinski. «Es ist ein Wunder, dass wir es überhaupt alle hierher geschafft haben. Wir waren vier Tage und vier Nächte unterwegs», sagte Verbandspräsident Waleri Suschkewitsch. «Und wir mussten viele Hürden überwinden. Viele unserer Team-Mitglieder mussten vor Bomben und Granaten flüchten.»

Es sei schwierig, ja fast unmöglich gewesen, sich auf den Sport zu konzentrieren, bekannte Wowtschinski. «Es gibt Wichtigeres. Ich musste die ganze Zeit an den Krieg denken. An mein Land. Die Menschen. Die Kinder. Meinen Präsidenten. Ich liebe die Ukraine.» Doch genau das habe ihm Kraft verliehen. «Mir war klar: Ich muss hier alles für die Ukraine geben.»

Gedanken bei der Familie

So empfand es auch die sehbehinderte Oksana Schischkowa, die ebenfalls Gold im Biathlon gewann. «All meine Gedanken waren allein bei meiner Familie, meinen Verwandten, bei allen in der Ukraine», sagte sie. Es sei zwar nur Sport, fügte der dritte Auftaktsieger Witali Lukjanenko (43) hinzu: «Aber es ist trotzdem sehr wichtig für unser Land.»

Und dann hatte es sogar noch so etwas wie einen vierten ukrainischen Sieg gegeben. «Das ist für die Ukraine und die Menschen in der Ukraine», sagte Biathletin Oksana Masters. Die 32-Jährige startet zwar für die USA, stammt aber aus der Ukraine. Sie wurde mit mehreren körperlichen Beeinträchtigungen geboren, sehr wahrscheinlich als Folge des Reaktorunfalls 1986 im nahe gelegenen Tschernobyl.

Masters wuchs in drei ukrainischen Waisenhäusern auf, ehe sie von einer Frau aus Kentucky adoptiert wurde. Ihre Wurzeln hat sie nie vergessen. «Ich bin stolz, Ukrainerin und Amerikanerin zu sein und beide Länder zu repräsentieren», sagte sie: «Das ist die Kraft des Sports.»

Masters dachte allerdings auch an die wegen des Krieges ausgeschlossenen Athleten aus Russland und Belarus. «Ich wünschte, sie wären hier und hoffe, dass bald wieder Frieden herrscht», sagte sie: «Im Speisesaal kam eine von ihnen auf mich zu, umarmte mich und weinte. Sie wollte so gerne hier antreten, musste aber nach Hause fahren. Ich kann es kaum erwarten, wieder gegen sie zu fahren.»

Von Holger Schmidt und Tobias Brinkmann, dpa

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