Auf dem beschwerlichen Weg zurück in die Weltspitze will Olympiasieger Andreas Wellinger keine Zeit verlieren.
«Ich bin ehrgeizig, es diesen Winter schon nach oben zu schaffen», kündigte der deutsche Skispringer vor dem Saisonstart im polnischen Wisla an diesem Wochenende an. Von einem Übergangsjahr vor einer möglichen Olympia-Titelverteidigung in Peking 2022 möchte der 25-Jährige nichts hören. Schließlich folgten auf das vielgefeierte Einzel-Gold 2018 zahlreiche Frustmomente und im Frühsommer 2019 gar ein Kreuzbandriss, der Wellinger eine ganze Wettkampf-Saison kostete.
Mit seinem markanten Grinsen, stets flotten Sprüchen und vielen weiten Flügen ist Wellinger im deutschen Skispringen schon in jungen Jahren zu einer Art Publikumsliebling geworden. Auch für das Team war er jahrelang wertvoll, nicht nur als Leistungsträger. Bevor nun aber die neue Schanzen-Saison beginnt, stehen auch Fragezeichen hinter dem Ruhpoldinger: Wie hat er die schwere Knieverletzung überwunden? Kann er sich im extrem starken deutschen Team behaupten? Und welche Spuren hinterlässt eine Wettkampfpause von rund 20 Monaten?
Bundestrainer Stefan Horngacher plädiert dafür, seinen Schützling trotz nahender Highlights wie der Vierschanzentournee oder der Heim-WM in Oberstdorf nicht zu sehr unter Druck zu setzen. «Ihm fehlt noch ein bisschen die körperliche Substanz. Wir müssen ihm die Zeit geben. Ich würde von ihm nicht zu viel erwarten», sagte Horngacher vor dem Start. Beim mit Spannung erwarteten Comeback ist der Bayer aber nicht nur physisch, sondern auch psychisch gefragt. «Den alten Andi Wellinger wird es in der Form nicht mehr geben. Über das Jahr hat sich einiges verändert und weiterentwickelt», sagte Wellinger der Deutschen Presse-Agentur zu seinem «neuen Gefühl».
Seinen Kniefrust hatte Wellinger im Sommer des vergangenen Jahres schnell hinter sich gelassen, die Zwangspause deutete er stattdessen zur Chance um. Bei seinem Sponsor bestritt er ein Praktikum im Trainingszentrum, mit den Freunden ging es nach Norwegen für eine unbeschwerte Skitour, auch seinem großen Hobby, dem Surfen, konnte Wellinger nach Genesung mehr Zeit widmen. «Generell merkt man in so einer Phase, wie hoch die Taktung in einem Wettkampfwinter ist», beschrieb Wellinger seine entschleunigten Monate ohne Profisport, in denen er sich auch medial zurückgezogen hatte.
Privat hat er die Metropole München wieder verlassen, um in seine Heimat zurückzukehren. «Das war ein guter Kontrast für mich – als Dorfkind mal in die Stadt zu gehen und mir das anzuschauen. Ich bin aber lieber näher an den Bergen», erzählte Wellinger. So wurde dem naturverbundenen Skispringer auch in Zeiten von Corona nicht langweilig. Neben Schanzen und Skiern zieren immer wieder Berg- und See-Panoramen die Social-Media-Profile des Bayern.
Sportlich erwartet Wellinger eine Reise ins Ungewisse. Teamintern haben sich sein Trainingspartner Markus Eisenbichler und Karl Geiger zu Leistungsträgern entwickelt, dahinter scheint die Rangfolge offen. «Für ihn ist es das Ziel, im nächsten Jahr wieder das höchste Level zu erreichen. Dieses Jahr werden wir bei ihm mit ein paar Abstrichen rechnen müssen», ordnete Trainer Horngacher ein, der Wellinger im Aufgebot für den Winter-Auftakt knapp den Vorzug vor Richard Freitag und David Siegel gibt. Wellinger spricht zunächst von den Weltcup-Punkten als Ziel, wenn der in einer Blase versammelte Tross quer durch Europa reist. Es könne oft schnell gehen im Skispringen, meint der Olympiasieger. «Es kann aber auch lang dauern.»